Daemmerung der Leidenschaft
darauffolgenden Nachmittag lehnte Roanna sich ermattet in dem ledernen Drehstuhl zurück und massierte ihren steifen Nacken. Ein ordentlicher Stapel adressierter Einladungen lag auf dem Schreibtisch; aber ein Blick auf die Gästeliste verriet ihr, daß noch mindestens ein Drittel nicht geschrieben war.
Sobald Lucinda einmal Webbs Einwilligung für die Party besaß, machte sie sich unverzüglich einen Schlachtplan. Jeder, der auch nur irgend etwas darstellte, mußte eingeladen werden, was die Gästeliste auf veritable fünfhundert Personen hochtrieb. Eine solche Menge Leute konnte unmöglich im Haus untergebracht werden, nicht einmal in einem vom Davenports Größe, außer man öffnete auch die Privatzimmer. Lucinda entmutigte das jedoch keineswegs; sie beschloß, auch den Garten mit einzubeziehen, Veranda und Bäume mit Lichterketten zu schmücken und die Leute nach Belieben ein- und ausgehen zu lassen. Draußen war es ohnehin schöner zum Tanzen.
Roanna hatte sich sofort an die Arbeit begeben. Tansy konnte unmöglich so viele Leute verköstigen; also mußte ein Partyservice gefunden werden, der eine so große Festgesellschaft versorgen konnte und das auch noch in Bälde, da das Ereignis auf Lucindas Drängen schon in knapp zwei Wochen stattfinden sollte. Ihr Hintergedanke dabei war, den Leuten nicht zuviel Zeit zum Überlegen zu geben, aber dennoch genug, sich neue Kleider schneidern oder Friseurtermine geben zu lassen. Die wenigen Partydienste in der Gegend waren für diesen Tag bereits ausgebucht; daher mußte Roanna eine Firma aus Huntsville für den Job engagieren. Da sie noch keine Erfahrungen mit diesem speziellen Service gemacht hatte, konnte sie nur hoffen, daß alles gutging.
Auf dem Speicher waren massenweise Lichterketten und Dekorationsstücke verstaut; doch Lucinda bestand diesmal auf ausschließlich pfirsichfarbenen Lichtern: Es war eine so weiche, schmeichelnde Farbe, nicht wahr? Auf dem Speicher gab es jedoch keine entsprechende Dekoration. Nach einem Dutzend Telefonanrufen hatte Roanna ein Geschäft in Birmingham ausfindig gemacht, das diese Sorte auf Lager hatte, und sie würden schon am nächsten Tag geliefert werden.
Außerdem fehlten Stühle, auch wenn man in Betracht zog, daß nie alle auf einmal sitzen würden. Also mußten mehr Stühle herbeigeschafft werden, eine Band wurde engagiert, Blumen wurden bestellt, und eine Druckerei mußte gefunden werden, die bereit und in der Lage war, die Einladungen auf der Stelle zu drucken. Nachdem auch letzteres abgehakt werden konnte, war Roanna nun mit dem Adressieren der Umschläge beschäftigt. Schon seit drei Stunden saß sie daran und und war total fertig.
Sie erinnerte sich noch, Lucinda vor Jahren bei dieser Aufgabe gesehen zu haben. Einmal hatte sie sie gefragt, warum sie nicht jemanden anstellte, der das für sie erledigte; denn ihr kam es unheimlich langweilig vor, stundenlang dazusitzen und Hunderte von Umschlägen zu adressieren. Lucinda hatte geantwortet, daß eine Lady sich die Mühe machte, ihre Gäste persönlich einzuladen – was Roanna als einen jener alten Bräuche auffaßte, von denen es im Süden so viele gab und die allesamt in die Mottenkiste gehörten. Sie hatte sich damals geschworen, selbst nie so etwas Langweiliges zu tun.
Und jetzt saß sie geduldig da und rackerte sich durch die Gästeliste. Es war immer noch todlangweilig, aber jetzt verstand sie, warum Bräuche so wichtig waren: Sie schenkten einem das Gefühl von Kontinuität, von Verbundenheit mit jenen, die schon gegangen waren. Ihre Großmutter hatte das getan, so wie ihre Urgroßmutter und ihre Ururgroßmutter vor ihr, das reichte Generationen zurück. Jene Frauen waren auch ein Teil von ihr, ihre Gene lebten in ihr fort, obwohl es so aussah, als würde die Linie mit ihr aussterben. Für sie hatte es immer nur einen Mann im Leben gegeben, und der war nicht interessiert. Ende der Geschichte, Ende der Familie!
Resolut verbannte Roanna alle Gedanken an Webb, um sich nicht unnötig abzulenken. Sie war es gewöhnt, ihren Papierkram am Schreibtisch zu erledigen, doch an diesem hatte Webb heute vormittag gearbeitet. Immer noch traf sie ein kleiner Schock, wenn sie ihn in dem Stuhl sitzen sah, der vor so kurzer Zeit noch der ihre gewesen war – was nichts mit dem freudigen Herzklopfen zu tun hatte, das sie jedesmal bei seinem Anblick überfiel.
Sie hatte sich in das sonnige Morgenzimmer im hinteren Teil des Hauses zurückgezogen, weil sie dort am meisten Ruhe hatte,
Weitere Kostenlose Bücher