Daemmerung der Leidenschaft
Dunkeln kam er nicht damit zurecht. Da ist er ins Wohnzimmer gerannt, sah, daß von dort keine Tür nach draußen führt und hat aus Versehen die Lampe umgerempelt. Schließlich muß er doch wieder durch die Küchentür verschwunden sein, so, wie er reingekommen ist.«
Webb raufte sich die Haare. »Das ist ja unerhört«, beklagte er sich. »Ich werde noch diese Woche eine Alarmanlage installieren lassen.«
»Das hättet ihr längst tun sollen.« Beshears warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. »Booley hat dauernd gesagt, wie leicht es ist, bei euch einzubrechen; aber er konnte Miss Lucinda nie davon überzeugen, etwas dagegen zu unternehmen. Sie wissen ja, wie alte Leute sind. Da das Haus so weit außerhalb der Stadt liegt, fühlte sie sich sicher.
»Sie wollte nicht das Gefühl haben, in einer Festung zu leben«, sagte Webb und mußte an die Kommentare denken, die Lucinda über die Jahre von sich gegeben hatte.
»Nun, das hier wird ihre Meinung wohl ändern. Halten Sie sich erst gar nicht mit einem der Systeme auf, bei denen automatisch die Polizei alarmiert wird; denn ihr wohnt viel zu weit draußen, also wäre das reine Geldverschwendung. Lassen Sie einen möglichst lauten Alarm installieren, der jeden im Haus aufweckt, wenn Sie wollen; aber vergessen Sie nicht, daß Leitungen durchschnitten werden können! Am allerbesten wäre es, wenn Sie gute Schlösser an alle Türen und Fenster machen ließen und sich einen Hund anschafften. Jeder sollte einen Hund haben.«
»Lucinda ist allergisch gegen Hunde«, meinte Webb trocken. Er würde ihr kaum die letzten Monate schwermachen, indem er jetzt noch so einen Kläffer daherbrachte.
Beshears seufzte. »Aha, deshalb habt ihr wohl nie einen gehabt. Na schön, vergessen Sie das.« Sie kehrten um und schlenderten wieder zum Aufzug zurück. »Miss Lucinda hatte einen Schwächeanfall, nachdem ihr alle weg wart.«
»Ich weiß. Gloria hat es mir gesagt.«
»Störrische alte Dame«, meinte Beshears. Sie blieben vor dem Aufzug stehen, und diesmal drückte der Sheriff auf den Knopf. »Rufen Sie mich an, wenn sich Roanna doch an etwas erinnern sollte ... ansonsten haben wir nämlich gar nichts in der Hand.«
Roanna ruhte sich den Rest des Tages aus. Weil sie von Übelkeit geplagt wurde, ließ ihr der Arzt ein mildes Magenmittel geben, so daß sie ihr Mittagessen, eine leichte Suppe und etwas Obst, fast ganz aufessen konnte. Lanette war eine überraschend gute Pflegerin. Sie sorgte dafür, daß Roanna immer genügend Eiswasser in dem Krug auf ihrem Nachttischchen hatte und daß sie sich jederzeit bedienen konnte. Auch half sie ihr ins Badezimmer, wenn sie aufs Klo mußte. Ansonsten saß sie geduldig da und las in einer Zeitschrift oder sah fern, aber so leise, daß Roanna nicht gestört wurde.
Webb dagegen war rastlos. Er durchquerte die Gänge und kam immer wieder herein, um zu sehen, wie es Roanna ging – wobei er sie jedesmal mit einem brütenden Ausdruck musterte. Etwas an ihrem Verhalten störte ihn mehr und mehr. Sie war zu ruhig. Eigentlich hätte sie Grund gehabt, sich aufzuregen oder zu ängstigen; doch sie zeigte fast keine Regung. Seinem Blick wich sie aus und wenn er mit ihr reden wollte, schob sie ihre Kopfschmerzen vor. Die Schwestern sahen regelmäßig nach ihr und meinten, es ginge ihr den Umständen entsprechend ganz gut, ihre Pupillenreaktion wäre in Ordnung; aber ihm kam die Sache nicht geheuer vor.
Er rief zweimal an, um sich nach Lucindas Befinden zu erkundigen; beide Male war sie selbst am Telefon und ließ ihn nicht mit Gloria sprechen. »Mir geht es gut«, erklärte sie unwirsch. »Glaubst du nicht, der Doktor hätte mich ins Krankenhaus eingewiesen, wenn mir wirklich etwas fehlen würde? Ich bin alt, habe Krebs und mein Herz ist auch nicht mehr das, was es mal war. Was sollte sonst mit mir los sein? Offen gestanden weiß ich nicht, warum ich überhaupt noch Medikamente nehme – sogar gegen Erkältung!«
Beide Male wollte sie Roanna sprechen, und beide Male beharrte Roanna darauf, selbst mit Lucinda zu reden. Webb hörte ihrer Seite des Gesprächs zu und merkte, wie wachsam sie klang, als ob sie etwas herausfinden wollte.
Hatte sie ihren Angreifer am Ende doch gesehen? Wenn ja, warum hatte sie Beshears dann nichts erzählt? Er konnte sich nicht zusammenreimen, warum sie so etwas für sich behalten wollte. Er kannte niemanden, den sie schützen müßte. Doch sie verschwieg ganz sicher etwas, und er war fest entschlossen, dahinterzukommen. Nicht
Weitere Kostenlose Bücher