Daemmerung der Leidenschaft
aufgerissen. Dann stieß er ein komisches kleines Husten aus, das zu einem Stöhnen wurde, und Blut sickerte auf den Teppich.
Verwirrt stopfte sich Lanette die Finger in den Mund und starrte ihren Mann fassungslos an. Dann wollte sie instinktiv zu ihm eilen.
»Rühr dich nicht vom Fleck!« brüllte Neeley und wedelte wild mit der Pistole. »Der nächste, der sich rührt, beißt ins Gras!«
Auch Corliss glotzte ihren Vater mit offenem Mund an. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck vollkommener Verblüffung. »Du hast auf meinen Daddy geschossen«, sagte sie erstaunt.
»Halt's Maul, du dumme Schlampe. Du bist ja so blöd«, höhnte er. »Zum Weinen blöd!«
Webb erhaschte aus dem Augenwinkel ein kaum merkliches Gleiten. Er wagte nicht, sich zu rühren oder dort hinzusehen. Blankes Entsetzen ergriff ihn. Roanna bewegte sich erneut, ein winziges Stückchen, wodurch sie sich noch ein wenig näher an die Balkontür manövrierte.
Dann sah er, wie das Licht auf der Alarmbox links von der Tür von Grün auf Rot wechselte.
Roanna hatte die Tür aufgeschubst.
Fünfzehn Sekunden. Das ohrenbetäubende Schrillen würde zur allgemeinen Ablenkung dienen. Er fing an zu zählen und hoffte, daß er die Zeit richtig kalkulierte.
Tränen strömten über Corliss' Gesicht, während sie auf ihren Vater blickte, der sich vor Schmerzen wand. »Daddy«, schluchzte sie. Sie blickte wieder zu Neeley, und ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Du hast auf meinen Daddy geschossen!« kreischte sie und stürzte sich mit gezückten Krallen auf Neeley.
Wieder schoß er.
Corliss kam taumelnd zum Halten, und ihr Oberkörper zuckte zurück, während sich ihre Beine noch weiterzubewegen versuchten. Lanette stieß einen heiseren Schrei aus, und die Pistole richtete sich schwankend auf sie.
Da ging der Alarm los, so schrill, daß es einem die Ohren zerriß. Neeleys Finger krampften am Abzug, Webb hechtete nach vorn, und die Kugel drang dicht über Lanettes Kopf in die Wand. Neeley stieß Lucinda beiseite, hielt sich mit der freien Hand ein Ohr zu und wollte die Pistole auf Webb richten. Dieser rammte ihm mit voller Kraft eine Schulter in den Bauch, so daß er gegen die Mauer geschleudert wurde. Webb packte mit der linken Hand Neeleys rechtes Handgelenk und hielt es nach oben, damit er nicht noch jemanden treffen konnte, selbst wenn er nochmal am Abzug drückte.
Neeley wehrte sich. Er raste vor Zorn und war stark wie ein Ochse. Brock warf sich ins Gemenge und half Webb, der Neeleys Arm blockierte. Doch der Mann wehrte sich wie ein Berserker. Dann stieß Webb ihm das Knie mit aller Kraft in die Genitalien. Neeley entrang sich ein ersticktes Grunzen, und er schnappte lautlos nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er sank an der Wand abwärts und zog sie mit sich, wodurch auf einmal sein Arm wieder freikam.
Webb angelte nach der Pistole, während sie zu dritt über den Boden rollten. Neeley holte tief Luft und stieß ein hohes, irres Lachen aus – erst jetzt merkte Webb, daß der Alarm verstummt war. Roanna hatte ihn ebenso rasch wieder abgestellt, wie sie vorher den Auslöser betätigte.
Neeley wand sich schlangenartig unter ihnen und bäumte sich auf, während er unentwegt dieses durchdringende Gekicher ausstieß, das ihnen allen die Haare zu Berge stehen ließ. Er grinste in die Runde und bockte wie ein störrisches Pferd. Abermals versuchte er zu zielen ...«
Roanna!
Mit tränenüberströmten Gesicht kniete sie neben Lucinda und blickte unentschlossen zwischen ihrer Großmutter und Webb hin und her, der mit Neeley rang.
Sie bot ein perfektes Ziel, wie sie dort kauerte, ein wenig abseits von den anderen; denn Lanette, Gloria und Harlan waren sofort zu Greg und Corliss geeilt. Ihr Nachthemd leuchtete wie eine schneeweiße Fahne und war auf diese Entfernung unmöglich zu verfehlen.
Das graue Metallrohr der Pistole rückte seinem Ziel trotz Brocks und Webbs Bemühungen, sie ihm zu entwinden, immer näher, Millimeter um Millimeter.
Webb brüllte vor Wut, und Adrenalin schoß wie eine Flutwelle in ihm hoch, in seine Muskeln, in sein Hirn. Da er buchstäblich rot sah, warf er sich den fehlenden Zentimeter nach vorn und umklammerte Neeleys Hand mit seiner großen Pranke. Langsam, langsam, zwang er die Waffe wieder zurück, bis schließlich Neeleys dicke Finger dem Druck nicht mehr standhielten und mit lautem Knacken brachen.
Vor Schmerz bäumte er sich erneut auf.
Webb kam schwankend und keuchend auf die Beine. Die Waffe hielt er in der
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