Daemmerung der Leidenschaft
betäubt, sie würde Webb nur schaden, wenn sie verriet, was Jessie getrieben hatte.
Ein Mörder käme vielleicht ungeschoren davon ... Roanna dachte sehr wohl daran, doch sie hielt Folgendes dagegen: es dem Sheriff zu verraten war auch keine Garantie dafür, daß der Mörder gefaßt wurde, da sie ihm kaum etwas über den Unbekannten sagen konnte, und Webb würde es auf alle Fälle schaden. Ihr stellte sich die Frage nach Wahrheit und Gerechtigkeit gar nicht, und sie war zu jung und unwissend, wenn es um solche Spitzfindigkeiten ging. Das einzige, was für sie zählte, war, Webb zu schützen. Falsch oder richtig, sie würde den Mund halten.
Sie beobachtete, wie ein Polizeiwagen geräuschlos über die Auffahrt zum Haus rollte und stehenblieb. Webb und Sheriff Watts stiegen aus und gingen auf den Eingang zu. Roanna beobachtete Webb; ihr Blick hing an ihm, wie ein Magnet an Stahl. Er hatte immer noch die Sachen an, die er gestern getragen hatte, und sah erschöpft aus; seine Züge waren von Müdigkeit und einem deutlichen Bartschatten gezeichnet. Wenigstens ist er wieder daheim, dachte sie aufatmend, und er ist nicht in Handschellen. Das bedeutete wohl, daß der Sheriff nicht vorhatte, ihn zu verhaften.
Als die beiden Männer den halbkreisförmigen roten Ziegelweg heraufkamen, blickte Webb nach oben, wo Roanna an dem großen Wohnzimmerfenster saß, vom Licht der zahlreichen Lampen im Raum hinter ihr beschienen. Obwohl es noch nicht ganz hell war, sah Roanna, wie sich seine Züge verhärteten und er unbarmherzig den Blick von ihr abwendete.
Sie lauschte dem flatternden Durcheinander der Familie, als Webb die Diele betrat. Die meisten sprachen nicht mit ihm, sondern versuchten statt dessen, ganz beiläufig miteinander zu plaudern. Unter den gegebenen Umständen war das jedoch lächerlich und klang lediglich gekünstelt. Nur Yvonne und Sandra eilten zu ihm und wurden von seinen starken Armen umfangen. Im Fenster konnte Roanna sehen, wie er seinen dunklen Kopf zu ihnen hinunterbeugte.
Er ließ sie los und wendete sich an Sheriff Watts. »Ich muß mich duschen und rasieren«, sagte er.
»Das obere Stockwerk ist noch nicht wieder zugänglich«, erklärte der Sheriff.
»Neben der Küche haben wir eine Dusche. Könnten Sie einen Beamten bitten, mir ein paar saubere Sachen zu bringen?«
»Sicher.« Das Nötige wurde veranlaßt, und Webb ging sich frisch machen. Die Stimmen hinter ihr nahmen wieder einen normalen Tonfall an. Roanna, die die beiden beobachtete, konnte sehen, daß Tante Yvonne und Tante Sandra wütend auf die anderen waren.
Dann wurde ihre Sicht in den Raum plötzlich blockiert, denn Sheriff Watts war direkt hinter ihr aufgetaucht. »Roanna, fühlst du dich in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten?« fragte er in so einem sanften Ton, daß es beinahe komisch wirkte bei einem so bulligen Mann.
Sie umfaßte die Decke noch fester und drehte sich schweigend zu ihm um.
Seine fleischige Pranke schloß sich um ihren Ellbogen »Wir wollen irgendwo hingehen, wo es ruhiger ist«, sagte er und half ihr vom Fensterbrett herunter. Er war nicht ganz so groß wie Webb, aber mindestens doppelt so breit. Seine Statur ähnelte derjenigen eines Ringers, mit einem enormen Brustkasten und einem stattlichen Faßbauch.
Er führte sie in Webbs Arbeitszimmer, wo er sie auf das Sofa setzte statt in einen der großen, ledernen Ohrenbackensessel, und nahm dann neben ihr Platz.
»Ich weiß, es ist nicht leicht für dich, darüber zu reden; aber ich muß wissen, was am Abend und in dieser Nacht geschehen ist.«
Sie nickte.
»Webb und Jessie hatten einen Streit«, sagte Sheriff Watts und musterte sie aufmerksam. »Weißt du, warum ...«
»Es war meine Schuld«, unterbrach Roanna ihn mit ausdrucksloser, hohler Stimme. Ihre braunen Augen, die sonst so lebhaft und voll goldener Funken waren, blickten ihn leer und traurig an. »Ich war in der Küche und hab versucht, was zu essen, als Webb von Nashville zurückkam. Das Abendessen hatte ich nämlich verpaßt, und ich war durcheinander ... j-jedenfalls hab ich ihn geküßt und Jessie kam rein.«
»Du hast ihn geküßt? Nicht er dich?«
Roanna nickte niedergeschlagen. Es spielte keine Rolle, daß Webb sie nach ein paar Sekunden ganz fest gehalten und ihren Kuß erwidert hatte. Sie hatte damit angefangen.
»Hat Webb dich je geküßt?«
»Manchmal. Meistens zaust er mir nur den Kopf.«
Die Lippen des Sheriffs zuckten. »Ich meine, auf den Mund?«
»Nein.«
»Bist du in ihn
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