Daemmerung der Leidenschaft
Blick auf Jessies Tür geworfen, da sie fürchtete, sie würde wie die böse Hexe aus dem »Märchenwald« hervorgestürmt kommen, und war auf Zehenspitzen gegangen, damit Jessie sie nicht hörte. Sie nickte.
»Brannte noch Licht?«
»Ja.« Das konnte sie beschwören, denn sonst hätte sie angenommen, Jessie wäre bereits in den angrenzenden Schlafraum gegangen, was für Roanna Sicherheit bedeutet hätte.
»Also gut, dann erzähl da weiter, wo du sie gefunden hast. Um welche Zeit war das?«
»Nach zwei. Ich konnte nicht schlafen, hab immer nur gedacht, was ich angerichtet und Webb aufgehalst hatte.«
»Du warst die ganze Zeit wach?« fragte der Sheriff scharf. »Hast du irgendwas gehört?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, mein Zimmer liegt ganz hinten, weit weg von den anderen. Es ist ziemlich ruhig da hinten. So mag ich es auch.«
»Kannst du sagen, wann die anderen schlafen gegangen sind?«
»Ich hab Tante Gloria so um halb zehn gehört, aber meine Tür war zu, daher konnte ich nicht verstehen, was sie sagte.«
»Harlan behauptet, er hätte so um acht angefangen, sich einen Film anzusehen. Damit kann um halb zehn noch nicht Schluß gewesen sein.«
»Vielleicht hat er ihn ja auf ihrem Zimmer zu Ende angeschaut. Ich weiß, daß sie einen Fernseher da drin haben, weil Großmutter eine Leitung legen ließ, bevor sie einzogen.«
Er zog einen Notizblock heraus und kritzelte ein paar Worte darauf, dann sagte er: »Okay, laß uns nochmal zu dem Zeitpunkt zurückkehren, als du Jessies Zimmer betreten hast. Brannte da noch das Licht?«
»Nein. Ich hab es angemacht, als ich reinging. Ich dachte, Jessie wäre im Bett, und wollte sie aufwecken, um mit ihr zu reden. Das Licht blendete mich, und ich konnte ein paar Sekunden lang nicht richtig sehen, da ... da bin ich über s-sie gestolpert.«
Wieder erschauerte sie und fing augenblicklich regelrecht zu schlottern an. Die momentane Röte wich aus ihrem Gesicht und hinterließ eine neuerliche Leichenblässe.
»Warum wolltest du mit ihr reden?«
»Ich wollte ihr sagen, daß es nicht Webbs Schuld war, daß er nichts Falsches gemacht hat, daß ich es war – daß ich mich mal wieder dumm benommen hab«, erklärte sie dumpf. »Niemals wollte ich ihm so etwas antun.«
»Warum hast du nicht bis zum Morgen gewartet?«
»Weil ich dachte, ich bringe es lieber gleich in Ordnung.«
»Warum hast du dann nicht mit ihr geredet, bevor du zu Bett gingst?«
»Aus Feigheit!« Watts erntete einen beschämten Blick. »Sie wissen nicht, wie gemein Jessie sein konnte.«
»Ich glaube überhaupt nicht, daß du feige bist, Liebes. Es braucht schon jede Menge Mut zuzugeben, daß man an etwas die Schuld trägt. Viele Erwachsene bringen das nie zustande.«
Wieder wiegte sie sich vor und zurück, und wieder trat diese Hoffnungslosigkeit in ihre Augen. »Ich wollte nicht, daß Jessie etwas Schlimmes zustößt, nicht sowas Schlimmes wie das! Es hätte genügt, wenn ihr zum Beispiel die Haare ausgefallen wären. Aber als ich ihren Kopf sah ... und all das Blut ... Anfangs hab ich sie gar nicht erkannt. Sie war immer so schön.«
Ihre Stimme verklang, und Booley saß schweigend neben ihr und überlegte fieberhaft. Roanna hatte gesagt, sie hätte das Licht angeschaltet. Von sämtlichen Türklinken und Schaltern waren bereits Fingerabdrücke genommen worden; daher müßten sich ihre Abdrücke auf diesem Schalter befinden, was sich leicht nachprüfen ließ. Wenn das Licht wirklich gebrannt hatte, als sie in ihr Zimmer ging, und nicht mehr, als sie Jessie später aufsuchte, dann bedeutete das, daß Jessie entweder selbst das Licht gelöscht hatte nach Webbs zornigem Aufbruch oder jemand anderer. In jedem Fall war Jessie noch am Leben gewesen, als Webb das Haus verließ.
Das bedeutete jedoch nicht, daß er nicht später zurückkommen und über die Außentreppe ins Zimmer hätte gelangen können. Wenn sich sein Alibi, im Waffle Hut gewesen zu sein, jedoch bestätigte, dann hatten sie höchstwahrscheinlich nicht genügend Beweise für eine Anklage gegen ihn in der Hand. Teufel, es gab ja nicht mal ein Motiv. Er hatte kein Verhältnis mit Roanna, nicht daß Booley dem überhaupt viel Beachtung geschenkt hätte. Es war ein Schuß ins Dunkle gewesen, nicht mehr. Die nackten Tatsachen besagten, daß Webb und Jessie wegen einer Sache Krach hatten, an der Roanna sich die Schuld gab, während sie gleichzeitig Webb von jeder Schuld freisprach. Jessie hatte ihm mit dem Verlust von Davenport gedroht,
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