Daemmerung der Leidenschaft
schon immer gut mit Pferden umgehen konnte, gelang ihm der Neuaufbau mühelos. Seine Familie schrumpfte auf seine Mutter und Tante Sandra zusammen, doch das genügte ihm.
Anfangs hatte er sich wie tot gefühlt. Obwohl sie sich ohnehin früher oder später getrennt hätten und sie ihn betrogen hatte, verfiel er in eine überraschend tiefe Trauer um Jessie. Sie war so lange Teil seines Lebens gewesen, daß er immer wieder morgens aufwachte und sich dabei ertappte, wie er sie vermißte. Doch dann, ganz allmählich, fielen ihm zu seiner Verwunderung immer öfter ihre Tücken ein, und er mußte lachen.
Das Bewußtsein, daß da draußen ein Killer herumlief, der wahrscheinlich nie gefaßt werden würde, hätte ihn sehr leicht zermürben können; doch am Ende akzeptierte er die Unlösbarkeit dieses Falles. Sie hatte ihre Affäre derart geschickt geheimgehalten, daß er keinerlei Hinweise auf den möglichen Täter besaß. Das Ganze endete in einer Sackgasse. Er konnte sich sein Leben dadurch zerstören lassen oder sich aufrichten und weitermachen. Webb war eine Kämpfernatur, deshalb krempelte er die Ärmel hoch.
Es gab Tage, ja Wochen, da dachte er kein einziges Mal an sein früheres Leben. Er ließ Lucinda und die anderen in der Versenkung verschwinden ... bis auf Roanna. Manchmal hörte er etwas, das wie ihr Lachen klang, und er drehte sich instinktiv um, um zu sehen, was sie nun schon wieder angestellt hatte, bevor er sich in die Realität zurückrief. Oder er versorgte ein verletztes Pferd und mußte daran denken, wie kummervoll ihre Miene ausgesehen hatte, wenn sie sich um ein krankes Tier kümmerte.
Irgendwie hatte sie sich tiefer in sein Herz geschlichen als die anderen, und sie zu vergessen fiel ihm schwerer. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er sich um sie Gedanken machte, wie er sich fragte, in welcher Tinte sie wohl gerade wieder stecken mochte. Und über die Jahre war es der Gedanke an sie, der ungeminderte Macht besaß, ihn in Rage zu bringen.
Er konnte Jessies Anschuldigung, Roanna hätte an jenem Abend absichtlich für eine Szene gesorgt, einfach nicht vergessen. Hatte Jessie gelogen? Es war ihr ganz gewiß zuzutrauen gewesen, aber Roannas offenes Gesicht hatte so schuldbewußt ausgesehen, daß es nicht wegzudiskutieren gewesen war. Im Lauf der Jahre hatte er die Erkenntnis gewonnen, daß Roanna, in Anbetracht der Tatsache, daß Jessie von einem anderen schwanger gewesen war, nichts mit dem Mord zu tun gehabt hatte; Jessie war vielmehr von ihrem mysteriösen Liebhaber ermordet worden. Dennoch konnte er seinen Zorn auf sie nicht ganz abschütteln. Irgendwie brachte ihn Roannas Verhalten, auch wenn es im Vergleich zu den anderen Ereignissen jener Nacht harmlos war, nach wie vor in Rage.
Vielleicht lag es daran, daß er sich ihrer Liebe und Ergebung stets so verdammt sicher gewesen war. Vielleicht hatte es seinem Ego geschmeichelt, so offen, so bedingungslos bewundert und verehrt zu werden. Niemand sonst hatte ihn auf diese Weise geliebt. Yvonnes Mutterliebe war stark und zuverlässig, aber sie hatte ihm auch als Kind den Hintern versohlt, wenn er ungezogen war – also sah sie seine Fehler. In Roannas Augen war er jedoch vollkommen gewesen, oder hatte es zumindest geglaubt, bis sie ihn derartig provozierte – nur um Jessie eins auszuwischen? Nun fragte er sich, ob er je mehr als nur ein Symbol, ein Besitzstück für sie bedeutete, etwas, das Jessie besaß und das sie haben wollte.
Seit Jessies Tod hatte er mit einer Reihe von Frauen geschlafen, darunter sogar ein oder zwei längere Beziehungen gehabt, obwohl er nie die Neigung verspürte, sich wieder zu verheiraten. Aber egal wie heiß der Sex auch war, was ihn in den frühen Morgenstunden schweißüberströmt und mit tobenden Lenden hochfahren ließ, waren Träume von Roanna.
Und dann stand sie leibhaftig vor ihm, in dieser Bar!
Sein erster Gedanke war gewesen, sie so rasch wie möglich von dort wegzubringen, wo sie nicht hingehörte. Widerstandslos und ohne ein Wort hatte sie sich rausführen lassen, die Roanna, die doch früher immer wie ein Wasserfall geredet hatte. Natürlich war er leicht angeheitert von etlichen Tequilas, aber ihr Gespräch auf morgen zu verschieben war ihm unmöglich gewesen.
Zuerst hatte er sich kaum auf das konzentrieren können, was sie sagte. Sie wollte ihn ja nicht einmal ansehen. Stumm saß sie einfach nur, zitternd vor Kälte, und schaute überall hin, bloß nicht zu ihm, wogegen er kaum die Augen von ihr
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