Daemmerung der Leidenschaft
Erinnerungen quälten sie nicht mehr so. Aber es hatte über ein Jahr gedauert, bis sie zum Studium abreisen konnte, und es war ein furchtbares Jahr gewesen.
Davon erzählte sie ihm jedoch nichts. Statt dessen zuckte sie mit den Schultern und sagte: »Du weißt ja, wie das ist. Man kann zwar vorwärtskommen – aber wenn man all die richtigen Leute kennenlernen will, muß man schon die Universität besucht haben.« Welche Universität, das brauchte sie nicht extra zu erwähnen, denn Webb war auf dieselbe gegangen.
»Hast du die Studentenclubs und all die gesellschaftlichen Aktivitäten mitgemacht?«
»Das wurde erwartet.«
Ein zögerndes Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. »Irgendwie kann ich mir dich nicht so recht als Nachtschwärmer vorstellen. Wie bist du denn mit den vielen Society-Snobs zurechtgekommen?«
»Ganz gut.« Tatsächlich waren sie sehr nett zu ihr gewesen. Von ihnen hatte sie gelernt, wie man sich richtig anzog, schminkte und Small talk machte. Sie hatten sie wohl als Herausforderung betrachtet, als eine Art Vorher-Nachher-Projekt.
Die Bedienung brachte ein Tablett mit drei Tellern dampfend heißen Essens. Zwei davon stellte sie vor Webb hin, den anderen vor Roanna. »Rufen Sie mich, wenn Sie nachgeschenkt haben wollen«, sagte sie freundlich und ließ sie allein.
Webb stürzte sich auf sein Essen, strich seine Pancakes dick mit Butter ein und ertränkte sie anschließend in Sirup. Dann salzte und pfefferte er ausgiebig seine Eier. Die dicke Scheibe Schinken nahm fast die Hälfte des Tellers ein. Roanna starrte den Berg von Genüssen an und dann seinen stählernen Körper. Sie versuchte sich vorzustellen, wie hart man wohl arbeiten mußte, um eine solche Menge Kalorien zu brauchen, und ihre Achtung vor ihm wuchs noch.
»Iß«, knurrte er.
Gehorsam nahm sie ihre Gabel. Früher wäre ihr das unmöglich gewesen, aber dadurch, daß sie ihre Emotionen mittlerweile beherrschte, hatte auch ihr Magen sich ein wenig beruhigt. Der Trick war, sich Zeit zu lassen und ganz kleine Bissen zu nehmen. Normalerweise hatte sie, wenn jeder andere fertig war, die Hälfte ihrer Portion geschafft, und das genügte ihr.
Diesmal war es ebenso. Als Webb sich gesättigt zurücklehnte, legte Roanna ebenfalls die Gabel beiseite. Er musterte ihren Teller lange und eingehend, als ob er überlegte, wieviel in ihrem Magen gelandet war; aber zu ihrer Erleichterung beharrte er nicht darauf, daß sie weiteraß.
Nun, da sie gefrühstückt hatten, fuhr er sie zu der Bar. Ihr Mietwagen stand allein und verloren auf dem staubigen Parkplatz. Ein Schild mit der Aufschrift »GESCHLOSSEN« hing schief am Eingang. Bei Tageslicht sah die Kneipe sogar noch heruntergekommener aus als in der Nacht.
Staub wirbelte auf, als er bremste, und Roanna nutzte die Zeit, bis die Luft wieder klar war, um ihren Wagenschlüssel aus ihrer Handtasche zu fischen. »Danke für das Frühstück«, sagte sie, als sie die Tür aufmachte und ausstieg. »Ich werde Lucinda sagen, daß sie dich erwarten kann.«
Er verließ ebenfalls sein Gefährt und ging mit ihr zu ihrem Mietwagen. Vor der Fahrertür blieb er stehen, so daß sie sie nicht aufmachen konnte. »Wegen letzter Nacht«, begann er.
Ihr wurde schlecht. Himmel, sie konnte sich das nicht anhören. In der Hoffnung, daß er den Wink verstehen und beiseite gehen würde, steckte sie den Schlüssel ins Schloß. Er rührte sich nicht.
»Was ist damit?« gelang es ihr, in ausdruckslosem Ton herauszuquetschen.
»Das hätte nicht passieren dürfen.«
Sie ließ den Kopf hängen. Es war das Beste, was ihr je in ihrem Leben widerfahren war, und er wollte es ungeschehen machen!
»Verdammt noch mal, schau mich an, wenn ich mit dir rede!« Wie letzte Nacht packte er ihr Kinn und hob ihren Kopf, damit sie ihn anblicken mußte. Er hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen, so daß seine Augen überschattet waren; doch trotzdem konnte sie seine grimmige Miene sehen und wie er seinen Mund zusammenkniff. Ganz sanft strich er mit dem Daumen über ihre Lippen. »Ich war zwar nicht betrunken, aber ich hatte trotzdem ein bißchen zuviel intus. Du warst noch Jungfrau. Ich hätte das nicht zu einer Bedingung für meine Rückkehr machen dürfen, und es tut mir aufrichtig leid.«
Roanna hielt sich ganz still. Ihr Rücken war kerzengerade. »Es war genauso meine Initiative wie deine.«
»Nicht ganz. Du wußtest nicht genau, worauf du dich einläßt. Ich andererseits war mir sicher, daß du nicht nein sagen
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