Daemmerung der Leidenschaft
bogenförmiges Panoramafenster umrahmte das Eingangsportal.
Davenport war hundertzwanzig Jahre alt und noch vor dem Sezessionskrieg erbaut worden. Von damals her rührte auch die elegant geschwungene Außentreppe ins obere Stockwerk; sie bildete einen diskreten Eingang für die ledigen jungen Männer der Familie, deren Schlafräume sich seinerzeit noch in einem separaten Flügel des Hauses befanden. Auf Davenport war das der linke Trakt gewesen. Nach zahlreichen Umbauten im vergangenen Jahrhundert verschwanden die separaten Schlafzimmer schließlich, aber der Außenaufgang zum ersten Stock war geblieben. In letzter Zeit hatte Webb ihn selbst das eine oder andere Mal benutzt.
Und das alles würde ihm gehören.
Gewissensbisse, als Haupterbe auserwählt zu sein, beeinträchtigten ihn nicht. Schon mit seinen vierzehn Jahren war sich Webb seines brennenden Ehrgeizes bewußt. Er wünschte sich den Druck der Verantwortung, wünschte sich all die Macht, die Davenport mit sich brachte. Es wäre wie das Reiten auf dem wildesten Hengst der Welt – allein durch die Kraft seines Willens.
Jessie und Roanna hatte er damit ja nicht ausgebootet, ganz im Gegenteil. Beide würden reich sein, wenn sie volljährig wurden. Aber die Mehrheit der Aktien, der Hauptanteil der Macht – und alle Verantwortung –, würde an ihn gehen. Webb schüchterte die Aussicht auf Jahre harter Arbeit, die noch vor ihm lagen, nicht ein; sondern vielmehr erfüllte ihn dabei überschwengliche Freude. Nicht nur, daß ihm Davenport gehören würde, Jessie kam überdies als Dreingabe. Ihre Großmutter, Tante Lucinda, hatte es angedeutet, aber erst vor wenigen Momenten war ihm klargeworden, was es wirklich bedeutete.
Sie wollte, daß er Jessie heiratete.
Beinahe hätte er vor Triumph laut aufgelacht. Oh, er kannte seine Jessie, und das tat auch Lucinda. Wenn sie von seiner Davenport-Erbschaft erfuhr, würde Jessie ohnehin sofort beschließen, ihn zu erwählen. Es machte ihm nichts aus; er wußte, wie er mit ihr fertig wurde und gab sich keinen Illusionen über sie hin. Der Großteil von Jessies schlechten Eigenschaften ließ sich auf die enorme Last zurückführen, die auf ihren Schultern lag; der Makel ihrer Geburt. Sie haßte Roanna dafür, daß sie legitim war, und benahm sich ihr gegenüber deshalb auch so abscheulich. Doch das wird sich ändern, wenn sie mich heiratet, dachte er. Dafür würde er unbedingt sorgen, denn jetzt kannte er Jessies Masche.
Lucinda Davenport ignorierte das Geschnatter der anderen. Sie stand am Fenster und beobachtete die drei jungen Leute auf der Schaukel. Sie gehörten zu ihr, ihr Blut floß in allen dreien, was Hoffnung und Zukunft für Davenport bedeutete.
Als sie von dem Autounfall erfuhr, war sie ein paar dunkle Stunden lang wie zerbrochen gewesen; ihr Kummer wollte sie schier verschlingen, sie nicht mehr weiterleben, nicht mehr weiterlieben lassen. Sie hatte immer noch das Gefühl, als fehlten einige Stücke ihres Herzens, wo nun eine riesige, unheilbare Wunde klaffte. Ihre Namen hallten in ihrem Mutterherzen wider. David. Janet. Erinnerungen glitten an ihrem geistigen Auge vorbei, und sie sah sie als Säuglinge an ihrer Brust, als herumtollende Kinder, als linkische Teenager und wundervolle Erwachsene. Sie war dreiundsechzig und hatte viele ihrer Lieben verloren, aber dieser letzte Schicksalsschlag übertraf alle bisherigen Verluste. Eine Mutter sollte ihre Kinder nicht überleben.
Aber in ihrer dunkelsten Stunde war Webb dagewesen und hatte sie stumm getröstet. Trotz seiner vierzehn Jahre nahm doch der Mann in ihm bereits Gestalt an. Er erinnerte sie sehr an ihren Bruder, den ersten Webb; der besaß denselben stahlharten, fast rücksichtslosen Kern, dieselbe Stärke und innere Reife, die ihn weit älter als seine Jahre wirken ließen. Der Junge war nicht vor ihrer Verzweiflung zurückgeschreckt, sondern hatte sie mit ihr geteilt, hatte ihr seine wahre Teilnahme geschenkt. In jener dunklen Stunde erblickte sie auf einmal das Licht am Ende des Tunnels und wußte, was sie zu tun hatte. Als sie ihm gegenüber dann den Gedanken äußerte, daß er ein Studium absolvieren solle, um die Leitung der Davenport-Unternehmungen zu übernehmen und später auch Davenport selbst zu bewohnen, schreckte er keineswegs zurück. Vielmehr hatten seine tiefgrünen Augen zu funkeln begonnen angesichts der Herausforderung, die sich ihm da bot.
Sie hatte eine gute Wahl getroffen. Einige Familienmitglieder würden laut aufheulen: Gloria
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