Dämmerung in Mac's Place (German Edition)
dem Tisch neben dem Ledersessel lagen vier Bücher ohne Schutzumschlag. Haynes nahm sie einzeln in die Hand und sah, daß sie aus einer Bibliothek kamen und die Ausleihzeit vier Tage überschritten war. Es handelte sich um einen frühen Vonnegut, einen H. Allen Smith, eine Mark-Twain-Schmähschrift gegen Mary Baker Eddy und Doughtys Travels in Arabia Deserta, ein Buch, das Haynes nie zu Ende gelesen hatte.
Er legte die Bücher zurück, ging zu dem Spiegelschrank und zog die dritte Schublade von oben auf. Unter fünf Lagen Kaschmirpullovern fand er den kurzläufigen Smith & Wesson Chief’s Special. Es war das superleichte Aluminiummodell, geladen mit .38er Spezialpatronen. Haynes wußte, daß die Waffe auf zwei bis drei Meter Entfernung einigermaßen zuverlässig war.
Er schloß die Schublade des Spiegelschranks und war im Begriff, die Waffe in eine Tasche seines neuen Mantels gleiten lassen, als die schläfrige Stimme hinter ihm fragte: »Was zum Teufel machst du hier?«
Haynes drehte sich um und sah die zerzauste, barfüßige Erika McCorkle in einem flammendroten Seidengewand vor sich, das wie ein japanischer Kimono aussah.
»Mir das hier ausleihen«, sagte er und zeigte ihr den Revolver, bevor er ihn in die Manteltasche schob.
»Ich sehe, du hast dir einen neuen Mantel gekauft«, sagte sie.
»Bist du gerade aufgestanden?«
»Was war denn mit Steadys altem Dufflecoat nicht in Ordnung?«
»Ich wollte zu Fuß gehen.«
»Vom Hotel?«
Haynes nickte.
»Und?«
»Auf halbem Wege ist es kalt geworden, und da hab ich mir einen Mantel gekauft.«
»Das ist ein Burberry«, sagte sie. »Das sehe ich.«
Haynes hielt den Mantel auf und sah zum ersten Mal auf das Etikett auf der Innenseite. »Tatsächlich.«
»Möchtest du Kaffee?« fragte sie.
»Wann bist du letzte Nacht schlafen gegangen?«
»Vier. Fünf. So ungefähr.«
»Warum so spät?«
»Ich brauch Kaffee«, sagte sie, drehte sich um und verließ das Zimmer.
Die Küche war größer, als Haynes erwartet hatte, und mit einschüchternden deutschen Geräten gefüllt, die teuer aussahen. Es gab sogar eine Frühstücksecke, die das Alter der Wohnung und des Gebäudes so sicher wie Jahresringe bestimmte. Für Haynes gehörten Frühstücksecken zu einem prähistorischen Zeitalter von Kernfamilien mit vier oder fünf Mitgliedern, die sich zu einem Frühstück aus Fruchtsaft, Haferflocken, Eiern, Speck und Toast zusammensetzten. In Haynes’ Welt waren solche Familien genauso ausgestorben wie Frühstücksecken. Keine der Familien, die er kannte, setzte sich je zu einem richtigen Frühstück zusammen. Oder auch zum Mittag- oder Abendessen.
Die deutsche Kaffeemaschine brauchte neunzig Sekunden, um einen halben Liter Kaffee herzustellen. Erika goß den Kaffee in Tassen aus Meißener Porzellan und gab zuerst Haynes eine Tasse. Sie tranken schweigend, bis sie sagte: »Wie bist du reingekommen? Hat Paps dir seinen Schlüssel gegeben?«
Haynes nickte.
»Warum?«
»Es gab Probleme im Hotel.«
»Ist mit Paps alles in Ordnung?«
»Ihm geht es gut.«
»Was für Probleme?«
Haynes sagte ihr genau, was McCorkle ihm gesagt hatte, ließ aber Horace Purchases Versuch, in das Hotelzimmer einzubrechen, aus. Erika hörte konzentriert zu, ignorierte den Kaffee und nahm ihre Augen nicht von seinem Gesicht. Als er fertig war, lehnte sie sich zurück und sagte: »War dieser Purchase hinter dir her?«
»Ich bin nicht sicher. Möglich.«
»Paps sollte solche Sachen nicht ohne Mike versuchen.«
»Sieht so aus, als hätte er Erfolg gehabt.«
»Er hätte getötet werden können.«
»Ist er aber nicht«, sagte Haynes, trank seinen Kaffee aus und sagte: »Erzähl mir von Padillo.«
»Was soll ich dir von ihm erzählen?«
»Wer er ist und wer er war.«
»Frag ihn.«
Haynes lächelte, wie er hoffte, sein bestes Lächeln. Sie sah schnell weg, als wolle sie dem Lächeln ausweichen. »War das, was er früher getan hat, wirklich so schlimm?« sagte Haynes.
Sie runzelte nachdenklich die Stirn, als sie ihn wieder ansah. »Ich komme zu keiner Entscheidung.«
»Wegen Padillo?«
»Wegen dir. Manchmal erinnerst du mich an Mike, manchmal an Paps. Aber in Wirklichkeit gleichst du keinem von beiden. Und vielleicht hab ich deshalb letzte Nacht schlecht geschlafen.«
»Entschuldige bitte.«
»Was?«
»Daß du letzte Nacht schlecht geschlafen hast, auch wenn ich nicht verstehe, warum.«
»Du willst was aus mir rauslocken.«
»Ich war mir dessen nicht bewußt.«
»Okay. Darum geht’s.
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