Daemmerung ueber der See
hindurch. »Wie lange wird es dauern …?«
»Bevor Sir Richard nach Hause kommt?« Er schien es abzuwägen. »Dazu müssen Sie die Denkweise und Winkelzüge der Admiralität kennen, meine Liebe. Es wird ein schwieriger Feldzug werden, besonders, da sich jetzt die Amerikaner einmischen. Man kann es zu diesem Zeitpunkt kaum mit Gewißheit abschätzen.«
»Ich brauche ihn so …« Sie fuhr nicht fort.
Als die Kutsche durch wassergefüllte Schlaglöcher und über abgebrochene Äste rumpelte, spürte Sillitoe den Druck ihres Körpers gegen seinen. Was würde sie tun, wenn er sie jetzt, da sie seine Hilfe brauchte, in die Arme nehmen würde? An wen konnte sie sich wenden? Wer würde ihr glauben? Wahrscheinlich nur Bolitho, und es konnte Jahre dauern, bis der wieder nach Hause kam. Und wenn er es tat, würde sie es ihm erzählen? Er fühlte sich, als ob er Fieber hätte.
Der Kutscher rief hinein: »Es ist nicht mehr weit, Sir Paul.«
Er blickte sie an. Mit einer Hand hielt sie sich an einer Schlaufe fest, denn die Kutsche rüttelte über Kopfsteinpflaster. An beiden Seiten zogen kleine Häuser vorbei. Ein paar schemenhafte Gestalten stemmten sich gegen den Regen, ein oder zwei Frachtwagen und zu seiner Überraschung eine schmucke Kutsche, deren Diener den seinen verblüffend ähnelten. Leise murmelte sie: »Ich kann mich kaum noch erinnern. Es ist so lange her.«
Sillitoe dachte über die Kutsche nach. Wahrscheinlich ein Bordell, in dem sich respektable, aber nicht allzu reiche Kunden ein paar schöne Stunden machten. Er dachte an das Haus seiner Mätresse. Mit Geld konnte man alles und jeden kaufen. Er versuchte, seinen Kopf wieder klar zu bekommen. Was wollte sie an diesem unmöglichen Ort?
Sie klopfte an das Fenster. »Dort ist es!« Sie klang aufgeregt und verzweifelt. Die Kutsche kam zum Stehen, und der Fahrer rief: »Weiter geht's nicht, Sir Paul – zu eng!«
Sie kletterte hinaus und hörte, wie der wild aussehende Mastiff warnend knurrte. Sillitoe folgte ihr. Ein verblichenes Straßenschild verkündete
Quaker's Passage.
Trotz ihrer eigenen Unsicherheit schien sie seine Verwunderung zu bemerken. Sie wandte sich ihm zu, ohne den Regen zu bemerken, der aus ihrem Haar auf den Mantel lief.
»Es sah hier nicht immer so aus. Hier spielten früher Kinder.« Sie griff nach einem eisernen Handlauf. »Wir spielten hier.«
Sillitoe leckte sich die Lippen. »Welche Hausnummer suchen wir?«
»Drei.« Nur ein Wort, aber sie stieß es heraus.
»Jakes, Sie bleiben bei der Kutsche und dem Fahrer.« Dann an den anderen mit dem Hund gewandt: »Sie kommen mit uns!« Er streckte eine Hand in den Mantel und griff nach der Pistole.
Ich muß verrückt sein, mich hier aufzuhalten.
Die Tür des Hauses war offen, überall auf dem Weg lag Unrat. Plötzlich kreischte jemand: »Es sind wieder die Gerichtsvollzieher! Diese verdammten Hunde!« Sillitoe legte eine Hand an die Tür. »Halten Sie den Mund, Frau!« Der Mann mit dem Hund kam heran, bereit, das Tier auf jeden zu hetzen, der es herausforderte.
Als Catherine sprach, war ihre Stimme ruhig und gefaßt.
»Ich möchte Mr. Edmund Brooke besuchen.« Sie zögerte, als die Frau sie scharf musterte, doch dann mit der Hand auf die Treppe zeigte. »Oben!«
Catherine zog sich an dem wackligen Geländer in den oberen Stock. Das Haus stank nach Verfall, Schmutz und einer fast physisch zu fühlenden Verzweiflung. Sie klopfte an einer Tür, die von alleine aufschwang, weil offensichtlich das Schloß kaputt war. Eine Frau, die auf einem Stuhl saß und den Kopf in die Hände gestützt hatte, blickte sie feindselig an.
»Was zum Teufel wollen Sie?«
Catherine sah sie mehrere Sekunden lang an. »Ich bin es, Chrissie, Kate. Erinnerst du dich?«
Sillitoe war schockiert, als die andere Frau Catherine umarmte. Sie mußte einmal hübsch gewesen sein, vielleicht sogar schön. Aber die Schönheit war vergangen, ihr Alter war undefinierbar. Er wollte sein Taschentuch hervorziehen, stieß dann aber die Hand in den Mantel, als er sah, daß ihn vom Bett aus ein Mann beobachtete. Catherine trat an das Bett und blickte auf das Gesicht hinunter, doch die Augen bewegten sich nicht. Die andere Frau sagte gequält: »Er ist vor zwei Tagen gestorben. Ich habe getan, was ich konnte.«
Sillitoe flüsterte: »Wer war er? Hat er versucht, Sie zu erpressen?« Der Gestank war widerlich, und er wäre am liebsten aus dem Zimmer gerannt. Aber ihre souveräne Haltung verhinderte das. Sie blickte auf das stoppelige
Weitere Kostenlose Bücher