Daemmerung ueber der See
Haar schimmerte im Kerzenlicht.
»Meine liebe Lady Catherine!« Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Sie war eiskalt. »Ich wähnte Sie in Cornwall, aber ich bin sehr erfreut über die Ehre Ihres Besuchs.«
Sie schaute ihn an, und ihre dunklen Augen blickten forschend. »Ich bin nach London gekommen, um ein paar Dinge aus meinem Haus in Chelsea zu holen.«
Sillitoe wartete ab. Er hatte sie sich oft in dem Haus vorgestellt, das gleich hinter der nächsten Schleife des Flusses in Richtung Westminster und Southwark lag. Es hätten zehntausend Meilen sein können. Bis jetzt.
»Stimmt etwas nicht?« Er versuchte ein Stirnrunzeln zu unterdrücken, als eine Bedienstete mit frischem Kaffee eintrat, den sie neben der Dame in Grün absetzte.
»Sie sagten einmal, daß ich zu Ihnen kommen solle, wenn ich Hilfe brauchte.«
Er wartete, fast atemlos. »Mylady, ich würde mich geehrt sehen.«
»In Chelsea habe ich einen Brief an mich vorgefunden. Niemand hatte daran gedacht, ihn mir nachzuschicken. Er war eine Woche alt, wahrscheinlich ist es jetzt schon zu spät.« Sie sah ihn gerade an. »Ich muß nach Whitechapel … und ich kann sonst niemanden fragen.«
Er nickte ernst. Also ein Geheimnis. »Das ist wirklich kein Platz, wo eine Lady ohne Begleitschutz hingehen sollte, nicht in diesen schlechten Zeiten. Müssen Sie dorthin?« Die ganze Zeit lotete sein Verstand alle Möglichkeiten aus. Einige Teile Whitechapels waren recht respektabel, doch den Rest konnte man vergessen. »Wann wollen Sie dorthin?« Er erwartete Protest, als er hinzufügte: »Ich komme natürlich mit Ihnen …«
Er blickte zur Tür, als sie ein kleiner rundgesichtiger Mann mit einer Brille anblinzelte. In seinen Armen hielt er Berge von Papieren in Leinenumschlägen.
»Nicht jetzt, Marlow! Ich gehe aus!«
Sein Sekretär begann zu protestieren und erinnerte Sillitoe an seine Verabredungen. Er hätte auch gleich den Mund halten können.
»Richten Sie Guthrie aus, daß ich zwei gute Männer brauche.« Er blickte den Sekretär ruhig an. »Er wird wissen, was ich damit meine.«
Als sie wieder allein waren, fuhr er fort: »Wir können jederzeit aufbrechen, falls Sie es wünschen.« Seine Augen musterten sie, ohne etwas auszulassen.
Der gute Guthrie hatte zwei von Sillitoes Männern ausgewählt, die auch die mit Goldknöpfen besetzte Livree trugen. Sie ähnelten eher Preisboxern als Lakaien. Beide starrten die große Frau mit dem schwarzen Haar und den hohen Wangenknochen an. Vielleicht vermuteten sie, wer sie war.
Eine schlichte Kutsche kam von den Stallungen vorgefahren, und Sillitoe meinte: »Sie ist nicht so auffällig wie die Ihre.«
Der junge Matthew, der neben Bolithos Kutsche wartete, sah besorgt aus. »Alles in Ordnung, M'lady?« Sein starker cornischer Akzent klang hier ganz fremdartig.
»Ja.« Sie ging zu den Pferden und streichelte sie. »Das hier bleibt unter uns, Matthew, nicht wahr?«
Er zog den Hut und drehte ihn in den Händen. »Bis ins Grab, wenn Sie es befehlen, M'lady!« Er war so ernsthaft, daß sie beinahe gelächelte hätte. Was hatte sie da angefangen, wie würde es enden?
Sie hörte aufgeregtes Hecheln und sah, daß einer der Männer einen kräftigen Mastiff auf den Bock zum Kutscher schob. Er sagte: »Beweg dich nicht zuviel, Ben, oder du bist dein Bein los!«
Sie gab dem Kutscher ein Kärtchen mit der Adresse und sah, daß er leicht die Augenbrauen hob. Sillitoe meinte: »Kommen Sie, meine Liebe, bevor es noch heftiger regnet.« Er blickte sich über die Schulter nach der anderen Kutsche mit dem Wappen auf dem Schlag um. »Warten Sie in Chelsea, äh, Matthew. Ich werde bis dahin auf Ihre Ladyschaft aufpassen.«
Sie lehnte sich in die feuchten Lederkissen zurück und gab vor, die Landschaft zu betrachten, als die Kutsche flott die Uferstraße entlangrollte. Sie war sich seiner Nähe sehr bewußt und seines offensichtlichen Entschlusses, sie nicht zu provozieren. Sillitoe sprach nur gelegentlich und fragte sie dann nach ihrem Leben in Falmouth. Er erwähnte die Kohlenbrigg
Maria José
, die nun instand gesetzt wurde, verriet aber nicht seine Informationsquellen. Nur einmal kam er auf Bolitho zu sprechen, als er seinen Neffen George Avery erwähnte. »Ich glaube, daß er sich als Sir Richards Flaggleutnant gut machen wird. Er kann mit Leuten umgehen, auch wenn es lahme Enten sind.«
Sie wandte sich um und blickte ihn an. Ihre Augen lagen im Dunkeln, denn sie fuhren gerade unter einer Reihe tropfender Bäume
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