Daemmerung ueber der See
tote Gesicht, die Augen schienen noch immer voller Wut, genau wie zu Lebzeiten. »Er war mein Vater.«
»Ich werde alles arrangieren.« Er wußte nicht, was er noch sagen sollte. »Meine Männer werden sich um alles kümmern.«
»Da bin ich sicher.« Sie blickte noch immer auf das Bett, als ihr Fuß gegen ein paar leere Flaschen darunter stieß. Sie wollte ihn anschreien, verfluchen. Es war zu spät dafür. Sie drehte sich um und fragte ruhig: »Haben Sie etwas Geld dabei?«
»Natürlich.« Er zog eine Börse heraus und gab sie ihr, froh, etwas tun zu können.
Ohne zu zögern nahm sie eine Handvoll Goldmünzen aus der Börse und drückte sie der anderen Frau in die Hände. Die Frau funkelte sie an und schrie: »Von einer Hure für die andere!« Dann warf sie das Gold an die Wand.
Sillitoe geleitete sie zur Tür. Er hörte das Schluchzen der Frau hinter ihnen und wie sie auf den Knien herumrutschte, um das Gold aufzusammeln. Draußen sprach er mit einem seiner Männer, der die Befehle mit einem Kopfnicken bestätigte.
Catherine blickte am Haus empor, der Regen lief ihren Hals entlang und durchnäßte ihre Kleidung.
Sillitoe führte sie am Ellbogen durch die schmale Gasse. Es war schrecklich gewesen und für sie sicher noch schlimmer. Wie hing das alles zusammen? Er blickte sie forschend an und sah, daß sie noch immer auf das kleine Haus starrte.
Sie fragte sich, warum sie gekommen war: Pflichtgefühl? Neugierde? Sicherlich nicht aus Mitleid. Schon mit einem Fuß auf dem Tritt der Kutsche sagte sie: »Danke, daß Sie mitgekommen sind, Sir Paul.«
Er ließ sich neben sie fallen. »Ich … ich verstehe das nicht.« Sie sah, wie die Straße zurückblieb. »Er hat mein Kind getötet.«
Die Räder der Kutsche holperten über das Kopfsteinpflaster. Durch die vom Regen getrübten Scheiben sah alles verschwommen aus. Sillitoe spürte ihre Anspannung, wußte aber, sollte er auch nur eine Hand auf ihren Arm legen, würde sie sich gegen ihn wenden. Um das Schweigen zu brechen, murmelte er: »Meine Männer kümmern sich um alles. Sie werden nicht hineingezogen.«
Es war, als hätte er nichts gesagt. »Es schien alles so lange her zu sein. Es gibt Zeiten, da kann ich es selber kaum glauben, und andere, da meine ich, es sei erst gestern gewesen.« Ihre Augen blickten ausdruckslos auf die Straße. Sie passierten ein verwildertes Stück Land, wo Kinder abgebrochene Äste als Feuerholz sammelten. Das hatte sie früher auch oft gemacht. Fröhlich waren sie gewesen, bis ihre Mutter krank geworden war und starb. In demselben schäbigen Zimmer. Sie hörte Sillitoe fragen: »Was hat er gearbeitet, was war sein Beruf?«
Warum sollte ich darüber sprechen?
Aber sie antwortete ihm: »Er war Schauspieler, ein Vortragskünstler. Er konnte fast alles.«
Es erschien Sillitoe, als ob sie von jemand anderem sprach. Er konnte sich dieses leblose, ärgerliche Gesicht nicht anders als in der Totenstarre vorstellen.
»Ich lernte einen jungen Mann kennen.« Sie blickte Sillitoe nicht an, sie dachte an Adam und Zenoria. »Ich war fünfzehn.« Sie zuckte die Achseln. Es war der stärkste Ausdruck von Hilflosigkeit, den er jemals bei ihr gesehen hatte. »Es passierte. Ich wurde schwanger.«
»Sie haben es Ihrem Vater erzählt, mußten es ihm erzählen, weil Ihre Mutter gestorben war.«
»Ja, ich erzählte es ihm.«
»Vielleicht war er zu erregt und wußte nicht, was er tat?«
Sie legte den Kopf gegen das Kissen. »Er war betrunken, und er wußte genau, was er tat!«
Du schuldest diesem Mann keine Erklärung. Nur einem, und der ist auf der anderen Seite der Erde.
»Er schlug mich und stieß mich die Treppe hinunter, die Sie heute gesehen haben. Ich verlor mein Baby …«
Er griff nach ihrem Handgelenk. »Vielleicht war es …«
»… das Beste so? Ja, das haben mir viele gesagt, einschließlich meines jungen Geliebten.« Sie berührte ihre Augen mit den Fingern. »Das ist es nicht. Ich bin beinahe gestorben, wahrscheinlich wollte ich es auch … damals.« Sie sah ihn an, sogar in der Dunkelheit der Kutsche spürte er die Intensität ihres Blickes. »Ich kann kein Kind mehr bekommen, nicht einmal für den Mann, den ich über alles liebe.«
Verwirrt meinte er: »Wenn wir nach Chiswick kommen, lasse ich Ihnen eine heiße Mahlzeit servieren.«
Sie lachte lautlos. »Lassen Sie mich bitte in Chelsea aussteigen. Ich möchte Sie nicht kompromittieren, außerdem möchte ich nicht noch mehr Skandale heraufbeschwören. Sie haben mich nicht
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