Daemmerung ueber der See
gefragt, warum mein Vater so ärgerlich war.« Sie spürte den festen Griff an ihrem Handgelenk, aber die Berührung schien belanglos. »Dieser Mann, mein eigener Vater, wollte, daß ich mit ihm schlafe. Er hat es mehrfach probiert. Vielleicht war ich zu verstört, um damit richtig umzugehen. Heute würde ich so einen Mann umbringen.«
Sie betrachtete die vorbeiziehenden Häuser, es waren jetzt teure Anwesen, die am Wasser lagen.
Ruhig fragte Sillitoe: »Was war das für eine Frau?«
»Chrissie? Eine Freundin. Wir spielten zu den Vorträgen meines Vaters auf dem Markt Theater. Das war, bevor er anfing zu trinken. Sie hat ihm vertraut, als ich mein Zuhause verließ.« Sie wandte sich ab, ihre Augen waren mit Tränen der Wut gefüllt. »Ein Zuhause, ist es das jemals gewesen?« Sie zügelte ihre Gefühle. »Sie haben die Belohnung gesehen. Er schickte sie auf den Strich.«
Eine Weile schwiegen sie, dann bemerkte sie: »Sie sprechen immer so wohlwollend über Richard, aber in meinem Herzen weiß ich, daß Sie ihn nur benutzen, um an mich heranzukommen. Das ist Ihrer unwürdig. Glauben Sie wirklich, daß ich den Mann, den ich liebe, betrügen und dabei riskieren würde, ihn zu verlieren?«
»Sie tun mir unrecht, Lady Catherine!«
»Wirklich? Ich könnte nicht für Ihre Sicherheit einstehen, sollten Sie mich täuschen.«
Sein Selbstbewußtsein schien zurückzukehren. »Ich bin gut geschützt.«
Sie befreite ihren Arm ganz vorsichtig. »Vor sich selber auch? Das bezweifle ich.«
Sillitoe war noch immer ganz verwirrt von ihrer Offenheit. Es war, als wäre er in einem Duell entwaffnet worden und jetzt der Gnade seines Gegners ausgeliefert. Sie blickte aus dem Fenster, als könne sie trotz des Regens etwas erkennen.
»Ich habe in meinem Leben Dinge getan, die ich niemandem erzähle. Ich habe aber auch Wärme und Freundschaft erfahren, und ich habe vieles gelernt, seit damals, als ich auf den Straßen dieser großen Stadt getanzt und Theater gespielt habe. Aber Liebe? Die verbindet mich nur mit einem Mann, den Sie ganz genau kennen.« Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie etwas verdrängen. »Wir haben uns einmal verloren, doch es wird nicht wieder vorkommen.« Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Seltsamerweise fühle ich mich besser, seit ich Ihnen das erzählt habe. Sie können mich in Chelsea absetzen und Ihre heutigen Entdeckungen mit Ihren Freunden durchhecheln, falls Sie welche haben. Aber verletzen kann mich niemand mehr, darüber bin ich hinaus.« Sie drückte seinen Arm und sagte ganz langsam: »Aber fügen Sie Richard kein Leid zu, darum bitte ich Sie.«
Sie sah wieder den Fluß und die kahlen Bäume wie Vogelscheuchen im abnehmenden Licht.
»Chelsea, Sir Paul!« Der Kutscher klang fröhlich, vielleicht, weil der Mastiff bei Sillitoes beiden Preisboxern geblieben war.
Dann sah sie den jungen Matthew nach der Kutsche Ausschau halten. Sein Mantel war schwarz vom Regen. Wie lange er auf ihre sichere Rückkehr gewartet hatte, konnte sie nur vermuten. Sie stellte fest, daß sie weinte, etwas, was sie nur selten tat. Vielleicht war es seine schlichte Treue, die sie so bewegte.
»Alles in Ordnung, M'lady?« Sophie hielt die Tür auf. Drinnen brannte hell das Licht. Wie von weit her hörte sie Sillitoe sprechen. Sie hatte nicht bemerkt, daß er ausgestiegen war und den Tritt heruntergeklappt hatte. Er blickte sie lange Zeit an, dann hob er elegant die Schultern, verbeugte sich und küßte ihre Hand. Plötzlich sagte er: »Ich werde nie anders für Sie fühlen. Verletzen Sie mich nicht, indem Sie mir Ihre Freundschaft entziehen.« Er ließ ihre Hand nicht los. »Ich werde immer zu Ihren Diensten stehen, sollten Sie mich brauchen.« Er wandte sich ab, um wieder in die Kutsche zu steigen, dann zögerte er. Er blickte sie an, als würde er sie zum letzten Mal sehen. »Ich bringe Ihnen Ihren Mann zurück.« Dann war er fort, die Kutsche verschwand um die Ecke, die Pferde rochen wahrscheinlich schon den Stall.
Sie spürte Sophies Arm um ihre Hüfte. Sie standen zusammen im Regen, der nicht aufgehört hatte, seit sie von hier nach Chiswick aufgebrochen war. Sie hörte noch immer Sillitoes letzte Worte. Fast hatte sie Angst, sie zu glauben.
»Laß uns hineingehen.« Sie wischte sich die Augen. Sophie wußte nicht, ob es wegen der Tränen oder wegen des Regens war. »Morgen werden wir nach Falmouth abreisen.« Zusammen gingen sie die Stufen hinauf, dann drehte sie sich um und blickte in die dunkler werdenden
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