Daemmerung ueber der See
noch sehen!
Pünktlich um vier Glasen zwitscherten die Pfeifen in den Decks und auf den Laufgängen der
Valkyrie
. Die Seesoldaten postierten sich quer über dem Achterdeck.
»Alle Mann! Alle Mann! Zur Bestrafung achtern Aufstellung nehmen!«
Der Erste Offizier kam wieder in die Kabine, aber Trevenen meinte ruhig: »Ich habe es gehört, Mr. Urquhart. Das hier ist ein ruhiges Schiff, und ich möchte, daß es so bleibt.« Dann nahm er die Akte, die die Kriegsartikel enthielt, und nach einem prüfenden Blick auf seine Unterkunft marschierte er hinaus.
Unbewegt? Urquhart seufzte. Das war es nicht. Völlig ohne Gefühl, das traf es besser.
Lady Catherine Somervell stand vor den großen französischen Fenstern des Zimmers, das sie nur eine Nacht zusammen bewohnt hatten. Die Fenster führten auf einen schmalen Balkon, von dem man nach Süden auf den Plymouth Sound schaute. Es schien, als würde das Wetter während ihrer Rückreise nach Falmouth gut bleiben. Sie spürte, daß sie ein Schauder durchlief. Vielleicht sollte sie nach London zurückfahren, die Stadt, die sie früher so gut gekannt hatte. Im gleichen Augenblick wußte sie, daß sie in das alte graue Haus am Fuße von Pendennis Castle gehörte. Dort konnte sie sich unter Menschen bewegen, die besseres zu tun hatten, als ihr auf Schritt und Tritt nachzustarren. Sie würde in Cornwall immer eine Zugereiste bleiben, das galt sogar für Yovell, der immerhin aus Devon kam. Aber sie wurde dort respektiert, und allein das zählte. Viele Leute glaubten, daß sie über dem Tratsch und den Lügen stand, die über sie verbreitet wurden, aber das stimmte nicht. Und der Mann, den sie über alles liebte, der alles für sie riskierte, würde sie bald verlassen. Zurückgleiten in diese andere Welt, in der sie schon eine Zeitlang die Gefahren der Seefahrt mit ihm geteilt hatte. Das gemeinsam Erlebte hatte sie noch mehr miteinander verbunden, wenn das überhaupt möglich war.
Die Werft hatte eine Kutsche geschickt, um Bolithos Gepäck abzuholen. Der neue Weinkühler, den sie ihm als Ersatz für den alten geschenkt hatte, der mit der
Hyperion
auf dem Meeresgrund ruhte, blieb in Falmouth, bis die Zukunft überschaubarer war. Jedesmal, wenn sie ihn ansah, würde sie an ihn denken müssen.
Allday war zusammen mit Ozzard und Yovell gegangen, um sicherzustellen, daß auf der Werft und auf dem Weg zum Schiff nichts gestohlen wurde. Flaggleutnant Avery hielt sich irgendwo unten im Wirtshaus »Zum goldenen Löwen« auf, dem besten in Plymouth.
Sie hatte sich von Bolithos kleiner Mannschaft, wie er sie nannte, verabschiedet, aber Allday hatte noch einen kleinen Spruch aufgesagt.
»Ich werde gut auf Sir Richard aufpassen, M'lady. Machen Sie sich keine Sorgen.« Er hatte niedergeschlagen, ja fast traurig geklungen.
»Fällt es diesmal schwerer?« wollte sie wissen.
Er hatte sie gerade angeblickt. »Aye, so ist es. Wenn wir wieder zu Hause sind, würden Sie uns dann die Ehre bei unserer Hochzeit geben?«
»Davon wird uns niemand abhalten.« Sie umarmte ihn. Ein echter Seemann mit dem typischen Geruch nach Rum, Tabak und Teer: der Geruch der See. »Und passen Sie auf sich auf, John, Sie sind mir sehr ans Herz gewachsen.«
Sie hörte, daß Bolitho aus dem Nebenraum eintrat. Er klopfte auf seine Taschen, wie sie es schon so viele Male gesehen hatte.
Er sah sie ernst an. Seine Uniform mit den glänzenden Epauletten war wie eine Barriere zwischen ihnen. Er trug den wunderschönen Ehrendegen; Allday würde auf den alten Familiensäbel aufpassen, wie sie wußte.
Nachdem sie angekommen waren, hatten sie vor genau diesem Fenster gestanden, und er hatte bemerkt: »Früher war hier ein Fernglas angebracht, damit die Gäste die Schiffe auf dem Sund beobachten konnten.« Er hatte versucht, es leichthin zu sagen, aber in seiner Stimme war eine unbestimmte Traurigkeit gewesen. »Vermutlich hat es ein Schurke gestohlen.«
»Geheimnisse?«
»Ich bin damals auch von hier ausgelaufen. Ich war Kommandant der
Hyperion
. Es ist so lange her … fast fünfzehn Jahre.«
Sie mußte an das Porträt seiner ersten Frau Cheney denken, das sie verstaubt und vergessen dort gefunden hatte, wo Belinda es versteckt hatte. Sie hatte es gesäubert und wieder an die Wand gehängt.
Ruhig erklärte Bolitho: »Es war das letzte Mal, daß ich sie sah. Sie starb, als ich auf See war.«
Es war ein seltener Augenblick. Sie wußte, daß sie das Bild nochmals betrachten würde, sobald sie in Falmouth war: Die junge
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