DAEMON
noch einen Schluck von ihrem Drink.
Er schien verwirrt, als ob er plötzlich merkte, dass er es mit jemand anderem zu tun hatte – nicht mit der Anji Anderson, die er erwartet hatte.
Sie sagte: «Wollen Sie mir helfen, oder wollen Sie mich stoppen? Ihre Entscheidung.»
Er starrte sie an. Sein Schweigen sagte alles.
22 Honigtopf
Reuters.com
Für CyberStorm tätiger Schauspieler in New York tot aufgefunden – Der aus England stammende Schauspieler Lionel Crawley wurde heute in seinem Apartment in der Upper West Side von Manhattan tot aufgefunden. Crawley hatte als Stimme Oberstleutnant Heinrich Boerners , des berüchtigten Schurken im weltweit erfolgreichen Computerspiel Over the Rhine , in der Online-Gamingszene einen gewissen Ruhm erlangt. Wie aus Polizeikreisen bekannt wurde, hatte der Leichnam des Schauspielers bereits mehrere Tage in der Wohnung gelegen, wobei die Todesursache bislang ungeklärt ist, da die Obduktion noch aussteht. Laut offiziellen Verlautbarungen besteht allerdings Verdacht auf Vergiftung .
Agent Philips meldete sich weder bei Ross noch bei Sebeck. Dennoch spürte Sebeck die massive Präsenz der NSA rings um sein Haus. Zwei fensterlose Vans parkten nahe seiner Einfahrt am Bordstein, und Agenten von Bundesbehörden verscheuchten Reporter, die es wagten, sich seinem Wohnkomplex zu nähern – wenn sich auch in dem Sturm medialer Aufmerksamkeit, der auf das Flammeninferno auf Sobols Anwesen folgte, kaum jemand für den Cop interessierte, der die Sobol-Connection aufgedeckt hatte. Die Task-Force unterstand inzwischen direkt Washington, was bedeutete, dassSobol und das gesamte Sheriff’s Department nicht mehr in den Informationsfluss einbezogen waren. Sebeck war das ganz recht. Es gab ihm Zeit, sich mit etwas zu beschäftigen, was ihn bisher nicht die Bohne interessiert hatte: mit Computerspielen.
Grundsätzlich betrachtete Sebeck Computer als notwendigen Bestandteil des modernen Lebens. Sein Hauptvorbehalt war, dass sie schlampigem Denken einen falschen Schein von Exaktheit gaben. Aber nun ja, Technologie war wie Religion – man glaubte oder man glaubte nicht.
Es war kurz vor Mitternacht, und Sebeck suchte auf seiner Tastatur nach den Hotkeys, die seinen Barbaren-Charakter um hundertachtzig Grad drehen würden. Die ganze Majestät einer volltexturierten 3 D-Wildnis füllte seinen Bildschirm. Im Vordergrund fielen Riesenratten einen muskelbepackten Barbaren an.
Sein Sohn Chris stand neben ihm. «Dad! Die machen dich alle.» Er lachte und hielt sich die Augen zu.
Sebeck sah auf den Bildschirm. Er begann, willkürlich irgendwelche Tasten zu drücken. Sein Barbar erlitt das digitale Äquivalent eines epileptischen Anfalls, während ihn die Ratten zu Fall brachten. «Verdammt.»
«Mann, du bist echt hoffnungslos.»
Sebeck funkelte Chris wütend an, und der Junge hob kapitulierend die Hände. «Ich will dir ja nur helfen.»
«Du bist wirklich ein begnadeter Lehrer!»
«Lass mich doch einfach mal ran.»
«Das ist kein Spiel, Chris.»
«Doch, es
ist
ein Spiel.»
«Du weißt, was ich meine.»
«Ich hab dich ein Jahr lang bekniet, mir ein Abo für
The Gate
zu spendieren. Warum ist es nicht drin, dass ich mal ein Weilchen spiele?»
«Weil dieses Spiel von dem Irren entwickelt wurde, der Aaron Larson getötet hat.» Er blitzte seinen Sohn ärgerlich an.
Seine schroffe Reaktion schockierte Chris.
Sebeck fasste sich wieder. «Chris …»
Chris hüllte sich in jene demonstrative Gleichgültigkeit, die nur wütende Teenager an den Tag legen können. «Kein Problem.» Er wandte sich um und ging hinaus – nur um nochmal den Kopf durch die Tür zu stecken und zu sagen: «Ich wollte dir
helfen
, Dad.» Er stapfte durch den Flur und polterte dann die Treppe hinauf.
Sebeck starrte auf den Fußboden. Das hatte er wieder mal vermurkst – wie fast alles, was mit Vatersein zu tun hatte. Wenn er sich selbst reden hörte, fragte er sich manchmal, was zum Teufel aus ihm geworden war. In der Highschool war er ein lockerer Typ gewesen. Aber da hatte er das alles noch nicht um die Ohren gehabt. Und warum tat es ihm nicht mal leid? Selbst jetzt saß er hier am Schreibtisch mit dem vagen Gefühl, dass es ihm leidtun
müsste
– aber keine Spur davon. Er fühlte sich vielmehr durch die Wichtigkeit seiner Arbeit gerechtfertigt. Es war ein perfekter Bewältigungsmechanismus, den er im Lauf der Jahre ausgebildet hatte.
Er konzentrierte sich wieder auf diese wichtige Arbeit.
Das
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