Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)
Wellen unter der Prinzessin verhießen ihr eine weitere elende Nacht.
Weiter vorn im Wasser tauchte ein Paar dunkler Schatten auf. Talia versteifte sich, obwohl sie sie im gleichen Moment als zwei der Delfine erkannte, mit denen Danielle ab und zu geplaudert hatte, seitdem sie Lorindar vor zwei Tagen verlassen hatten. Talias Umhang machte sie schreckhaft.
Die Attentäterin, die als die Lady von der Roten Kapuze bekannt war, hatte diesen Umhang benutzt, um sich vor Entdeckung zu schützen, und damit sogar Schnees Zauberspiegel getrotzt. Talia hoffte, er würde jetzt dasselbe für sie tun, aber das Wolfsfell, das in den Umhang hineingenäht war, hatte noch andere Auswirkungen auf seine Trägerin, indem es ihre Gemütsruhe verringerte und die Sehnsucht weckte, etwas – irgendetwas – zu jagen und zur Strecke zu bringen.
Talia sprang von der Reling und überquerte das Deck, um zuzuhören, wie Danielle die Delfine befragte. Ihre Kommunikation mit den Tieren verlief nur in eine Richtung, deshalb verbrachte sie viel Zeit damit zu versuchen, die Berichte der Delfine zu verstehen. Eines der Tiere sauste ein kurzes Stück davon und kam dann zurück. Der Wind schluckte Danielles Frage, aber der Delfin sprang aus dem Wasser und schnatterte laut, bevor er wieder unter den Wellen verschwand.
Danielles Blick folgte ihnen ostwärts. »Wir holen auf.«
Talia verkniff sich die Frage, die ihr auf der Zunge lag: Hätte Danielle gewusst, wie weit sie hinter Schnee zurücklagen, hätte sie es gesagt.
Wäre Bea an Bord gewesen, so hätte die Phillipa Schnees gestohlenes Schiff schon eingeholt. Als die Elfenkönigin das Schiff, auf dessen Planken sie jetzt standen, Beatrice vor Jahren zum Geschenk gemacht hatte, war viel von dessen Magie an die Herrscherin von Whiteshore gebunden worden. Aber auch ohne diesen Umstand war die Phillipa eines der schnellsten Schiffe auf den Meeren. Im Augenblick hieß es einfach nur warten.
Talia hasste es zu warten. Der Umhang fügte ihrer Ungeduld noch die des Wolfs hinzu und ließ sie so jeden endlosen Moment noch bewusster erleben.
Danielle war in ihren eigenen Gedanken verloren und schwieg, deshalb ging Talia zu Hephyra hinüber, die am Steuerruder stand. Stummel, der Schiffskater, thronte auf ihren Schultern. Stummel war ein dürr aussehendes Ding mit nur drei Beinen, fühlte sich jedoch auf der Phillipa genauso wohl wie sein Frauchen.
Hephyra langte nach oben, um Stummel mit einer Hand am Kinn zu kraulen. »Das letzte Mal, als ich für deine Prinzessin gesegelt bin, hat sie beinah mein Schiff versenkt«, sagte sie anstelle einer Begrüßung.
»Seit wann machen sich Dryaden Sorgen um ›beinah‹?« Talia wartete einen Herzschlag lang, dann fügte sie hinzu: »Seit wann machen sich Dryaden eigentlich um irgendetwas Sorgen?«
»Wohl wahr!« Hephyras durchdringendes Lachen trug über den Lärm der Mannschaft hinweg. Sie drehte sich um, um das Schiff zu betrachten, und ihr Blick blieb an Gerta hängen. Gerta war mit einem Besatzungsmitglied auf den Fockmast geklettert und saß auf der Rah; sie hielt sich mit einer Hand an einem Tau fest und lachte, während das Schiff schlingerte und stampfte.
Als Gerta sich hochzog, zuckte Talia zusammen, aber sie bewegte sich so sicher wie ein Matrose. Ihr rotes Haar flatterte wie ein Banner hinter ihr; der Wind bewegte ihre Jacke hin und her und drückte ihr das Hemd an die Haut.
»Eure Freundin ist früher schon mal gesegelt, nehme ich an?«, fragte Hephyra.
»Bis vor zwei Tagen hat Gerta das Meer noch nie im Leben gesehen.« Aber wer konnte schon sagen, welche Fähigkeiten Schnee ihr mitgegeben haben mochte. Gerta konnte sprechen und lesen, kannte sich mit Zauberei aus und verhielt sich in den meisten Belangen wie eine zwanzigjährige Frau und nicht wie ein Geschöpf, dass noch keine Woche alt war.
»Sie findet offenbar Gefallen daran. Genau wie du damals.« Mit einer Hand am Steuer trat Hephyra so nah an Talia heran, dass diese die Wärme des Körpers der Dryade spüren konnte. »Wie sieht’s aus mit dir, Talia? Ich könnte eine Frau mit deinen Fähigkeiten brauchen, um mir zu helfen, die Mannschaft bei der Stange zu halten. Jetzt, wo Beatrice nicht mehr ist …«
Es war nicht das erste Mal, dass Hephyra ihr ein solches Angebot unterbreitete. Talia hatte nie rauszukriegen vermocht, ob sie es ernst meinte. »Ich habe dich kämpfen sehen. Du bedarfst meiner nicht.«
»Es gibt andere Arten von Bedürfnissen.« Hephyra sah an ihr vorbei auf Danielle.
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