Dämon
ins Gesicht des Jungen blickte. Große braune Augen, dunkle Haut, glattes schwarzes Haar. Der Junge stand im Eingang, verängstigt und mit zusammengepressten knochigen Knien. Lyerman zwang sich zu lächeln. Er hatte an seinem Lächeln gearbeitet, hatte sich im Spiegel kontrolliert. Als er damit angefangen hatte, war ihm bewusst geworden, dass er den Kindern noch mehr Angst eingejagt hatte. Das hatte ihn wütend gemacht; sie hatten sich noch weiter von ihm zurückgezogen. Schließlich hatte er den Punkt erreicht, an dem die meisten bereit waren, sich ihm zu nähern. Doch es bedurfte der Übung. Mit Menschen umzugehen, konnte manchmal sehr anstrengend sein.
Lyerman behielt sein Lächeln bei. »Komm her, komm her. Hab keine Angst.«
Der Junge stand schweigend da und starrte den Mann im elektrischen Rollstuhl an. Lyermans Lächeln gefror ein wenig.
»Cesar, bitte.«
Cesar schob den Knaben ein wenig tiefer in den Raum.
»Sprichst du Englisch?«, fragte Lyerman.
Der kleine Junge drehte sich fragend zu Cesar um, und der übersetzte Lyermans Worte: »Habla Inglés?«
»No.«
»Nein …«, wiederholte Lyerman und sah Cesar an. »Sag ihm bitte, er soll ein wenig näher kommen.«
Cesar sprach leise zu dem Jungen, und der Knabe nickte und setzte sich zögernd in Bewegung. Lyerman starrte auf seine Beine. Die Bewegung der Knochen und Gelenke. Die Art und Weise, wie die Knie vor- und zurückglitten. Das Spiel der Muskeln an Füßen, Waden, Oberschenkeln. Sie waren schlank und geschmeidig und perfekt definiert, selbst die Sehnen um die Kniegelenke herum. Die Linien der Unterschenkelbeuger, der Quadrizepse. Cesar hatte gute Arbeit geleistet. Er hatte schon immer ein gutes Auge für diese Dinge gehabt.
»Ich möchte sehen, wie er Kniebeugen macht«, sagte Lyerman zu dem Panamaer. »Sag ihm, er soll Kniebeugen machen.«
Cesar nickte und sprach mit dem Jungen. Der Junge sah Lyerman an, und Lyerman versuchte ein Lächeln. Der Junge zuckte die Schultern und vollführte eine Kniebeuge. Dann wieder nach oben. Und hinunter. Lyerman spürte, wie ekstatische Energien ihn durchfluteten.
Diese Beine. Die Schönheit dieser Bewegung. Das war es, was Lyerman belebte. Knabenbeine, Mädchenbeine, das spielte keine Rolle. Für ihn waren alle Beine gleich.
»Lass ihn auf der Stelle hüpfen.«
Cesar wandte sich an den Knaben, der Knabe lauschte, beendete die Kniebeugen und begann zu hüpfen. Lyerman beobachtete die Spannung der Hüften, während sich die Beine in perfektem Rhythmus bewegten. Der Junge geriet allmählich ins Schwitzen, und ein leichter Schimmer glänzte auf seiner braunen Haut, was die Muskeln noch mehr betonte. Lyerman leckte sich die Lippen. Es wurde fast unerträglich für ihn. Er besaß kein Ventil für diese Energien. Nichts, worauf er sie hätte richten können. Nur noch ein klein wenig mehr.
»Er soll auf der Stelle laufen! Schnell! Er soll auf der Stelle laufen! Rapido! «
Cesar sprach erneut zu dem Knaben, und der Junge lauschte. Er atmete inzwischen schwer. Seine Beine pumpten auf und ab. Rhythmisch und natürlich, so wie Beine arbeiten sollten. Mit glatter Haut und straffen Muskeln. Lyerman spürte, wie sich hilfloser Zorn in ihm aufstaute. Der kleine Junge sah sich im Zimmer um und betrachtete die Kunstwerke. Er wirkte gelangweilt. Langweile ich dich?, fragte sich Lyerman. Langweilt dich dieser kleine Mann in seinem elektrischen Rollstuhl? Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel Kraft du in den Beinen hast? Und wie wenig du sie verdienst?
»Schneller! Er soll schneller laufen! Rapido! «
Der Junge gehorchte, rannte schneller. Knöchel, Hüften, Knie, alles bewegte sich in Harmonie. So perfekt, bis Lyerman es nicht länger ertragen konnte.
»Genug!«
»Bastantes!«
»Schaff ihn hier raus.«
Cesar trat vor und nahm den Knaben an der Hand. Er führte ihn aus dem Büro und zurück zu den anderen Kindern. Der Tag hat so perfekt angefangen, Detective Jefferson. Lyermans Gedanken wanderten für ein paar Augenblicke zum Blade-Gefängnis und dem, was dort draußen lauerte. Was er zurückgebracht hatte. Er leckte sich die Lippen, während er in Gedanken immer wieder sah, wie es sich bewegte.
Sie haben Recht, Detective Jefferson, ich bin in diesem Rollstuhl gefangen. Aber die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen.
Jefferson ging langsam die Schwarzweißfotos vom Tatort auf dem Dach des Lyerman Building durch. Die Lage der Toten, ihre hervorquellenden, verdrehten Augen – es war immer wieder
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