Dämon
sich wie von allein um den Rest des Rahmens legten. Sein Zeigefinger ertastete einen kleinen Riegel auf der Unterseite. Er drückte den Riegel hoch, und es gab ein klickendes Geräusch. Der Rahmen schwang an Scharnieren von der Wand weg wie ein aufklappender Buchdeckel.
Dahinter erblickte Jefferson einen Safe, der hinter dem Bild verborgen gewesen war. Er beugte sich vor und sah drei schwarze Drehräder in der Tür. Jedes Rad war mit Buchstaben von A bis Z markiert. Jefferson packte den Drehgriff und zog daran, doch die Tür war verschlossen. Das Metall gab nicht nach.
Erneut zückte er sein Notizbuch und starrte auf die drei Buchstaben, die er unter der Telefonnummer notiert hatte.
Er stellte die Drehräder entsprechend ein, das erste auf R, das zweite auf J, das dritte auf D. Wieder drehte er am Griff, und diesmal ließ er sich ohne Widerstand bewegen. Ein Klicken war zu hören, und Jefferson öffnete die Safetür.
Im Innern lag ein Buch in einem verblassten Ledereinband. Vorsichtig nahm Jefferson es hervor, wischte den Einband ab und schlug es auf. The Annotated History of Fort Blade Prison, »Die Kommentierte Geschichte des Gefängnisses von Fort Blade«, von Gary Older.
Blade – schon wieder dieser Name. Wieso? Jefferson steckte sich das Buch in die Tasche. Es passte glatt hinein und fühlte sich schwer an.
Er warf einen letzten Blick ins Zimmer, bevor er in den Korridor zurückkehrte. Als er die Bürotür hinter sich schloss, dämmerte es ihm allmählich. Er stand auf dem Flur, den kalten metallenen Türknopf von Olders Büro noch in der Hand.
Die unbekannte Stimme am Telefon.
Mit seltsamer Klarheit wurde ihm bewusst, dass sie Joseph Lyerman gehört hatte.
Lyerman, dessen Sohn Kenneth ermordet auf dem Dach seines eigenen Gebäudes gefunden worden war. Warum trug Older, der ermordete ehemalige Gefängniswärter des Blade, ausgerechnet Joseph Lyermans Telefonnummer mit sich herum?
Jefferson ließ den Türknopf los und kehrte langsam durch den Korridor und über die Treppe in die erste Etage zurück.
Lyerman tippte auf das Telefon-Icon auf dem Kontrollpaneel unter seiner rechten Hand. Das Gespräch wurde unterbrochen, und für einen Augenblick saß Lyerman in tiefe Gedanken versunken da, das Kinn auf das Röhrchen gestützt, mit dessen Hilfe er den Rollstuhl durch Saugen oder Blasen steuerte. Jefferson. Jefferson. Jefferson. Falls Jefferson über Older Bescheid wusste, dann wusste er auch über das Blade-Gefängnis Bescheid. Und falls er das Blade unter die Lupe nahm, dann … ja, was dann? Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte; die Ereignisse waren längst in Gang gesetzt. Sozusagen. Lyerman mochte es nicht, Analogien zu benutzen, die mit Bewegung zu tun hatten, denn sie ließen ihn jedes Mal an den Rollstuhl denken. Trotzdem, dachte Joseph Lyerman. Jefferson könnte äußerst unbequem werden.
Dabei hatte der Tag so vielversprechend angefangen.
»Cesar!«, rief er laut. Einen Augenblick später betrat sein hagerer Krankenpfleger das Zimmer. Es war immer wieder erstaunlich, wie leise er war. Lyerman hatte ihn in Panama entdeckt, wo er bei einem Metzger gearbeitet hatte. Er hatte Cesars Talent auf der Stelle bemerkt – falls »Talent« der richtige Ausdruck war für das, was Cesar konnte.
»Ich fühle mich ein wenig niedergeschlagen«, sagte Lyerman. »Bring mir was Hübsches zum Anschauen.«
Der Panamaer nickte und zog sich langsam aus dem Zimmer zurück. Ein paar Minuten später kam er mit einem verängstigt dreinblickenden Knaben von ungefähr acht Jahren wieder. Der Knabe trug ein gelbes T-Shirt von der Art, die Kinder in den panamaischen Gettos bekamen. Doch interessanter als das T-Shirt war, was er darunter trug. Eine verblichene blaue Fußballhose, die nur bis knapp über die Lenden ging und reichlich nackte Beine zeigte. So wundervolle nackte kleine Beine.
Cesars Talent bestand darin, solche Knaben zu finden. Überall in Panama. Straßenkinder. Kein Zuhause. Keine Eltern. Die niemand hatten, der sich um sie sorgte. Die bereit waren, für eine Mahlzeit alles zu tun. Erst recht für ein Ticket in die Vereinigten Staaten. Der soziale Aspekt war durchaus legitim – elternlose, arme panamaische Kinder amerikanischen Paaren zuzuführen, die ein Kind adoptieren wollten. Doch wie Lyerman zu Detective Jefferson gesagt hatte: Nichts war so, wie es im ersten Augenblick schien. Die Menschen wollten die Wahrheit nicht sehen.
Lyerman starrte die Beine des Knaben noch ein wenig länger an, bevor er
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