Dämon
Krankenpfleger oder Schwestern, die Patienten beruhigten oder festhielten, und meist weinte oder schrie irgendwo jemand. McKenna wirkte seltsam fehl am Platz im Wartezimmer unter all den Kranken und Verletzten. Sie saß zwischen einem riesigen Hispano in Arbeitskleidung, der einen langen Riss auf der Wange hatte, und einer älteren Frau, die in ihrem Stuhl hin und her schwankte wie ein Pendel, sich die Ohren zuhielt und immer wieder »Nein! Nein! Nein!« zu einer Schwester schrie, die mit einem Klemmbrett in der Hand vor ihr stand.
McKenna wirkte erleichtert, als sie Jefferson sah.
»Was machst du hier?«, fragte er.
»Ich hab mit Brogan geredet. Er hat gesagt, du würdest zum Büro des ME fahren, um mit Dr. Wu zu reden. Ich dachte, ich warte hier auf dich. Wegen der Atmosphäre hier bin ich bestimmt nicht gekommen.«
»Nein, kann ich mir auch nicht vorstellen«, erwiderte Jefferson. »Schön, dann komm mit. Wu hat gesagt, er wäre fertig mit der Untersuchung von Lyerman junior. Die pathologischen Befunde liegen bereit.«
Sie gingen durch den zentralen Korridor der Notaufnahme und kamen an einer Gruppe Chirurgen vorbei, die damit beschäftigt waren, einem schreienden Mann ein Schlachtermesser aus dem Rücken zu ziehen. Hinter einer Doppeltür befand sich die Abteilung des Medical Examiner. Ein Wachposten mit einer dunklen Sonnenbrille brüllte auf einen kleinen schwarzen Mann ein, in dessen Arm ein intravenöser Katheder steckte. Der Plastikschlauch baumelte an seiner Seite herab wie eine Spaghetti. Der Wachmann beachtete Jefferson und McKenna kaum, als sie durch eine zweite Doppeltür gingen, bevor sie das Büro des ME betraten.
Hinter der Doppeltür herrschte Stille. Vielleicht bekamen sie hier ein paar Antworten.
»Ich sollte Ihnen lieber gleich verraten, dass ich nicht weiß, was ich davon halten soll. So etwas habe ich in meiner gesamten Laufbahn noch nie gesehen.«
Dr. Michael Wu saß hinter dem großen Metallschreibtisch in der hinteren Ecke des Büros. Vier weitere Schreibtische standen im Raum, alle unbesetzt. An der Wand hinter Wu hingen gerahmte Diplome der Yale University, der John Hopkins Medical School und ein paar Schwarzweißfotos aus China. Auf dem Schreibtisch stand ein Familienporträt neben dem Aktenschuber aus braunem Manilakarton mit der Aufschrift »Kenneth Lyerman«. Wu hatte die Akte Lyerman aufgeschlagen und blätterte durch die eingehefteten Seiten. Auf seinem Arm, wo der Tote in der Gasse ihn gepackt hatte, klebte ein kleiner Verband.
»Ich schicke ein paar Proben nach Harvard, vielleicht finden sie dort mehr heraus. Aber glauben Sie mir, ich bin schlichtweg sprachlos«, sagte Wu.
»Haben Sie überhaupt etwas gefunden?«, fragte Jefferson.
»Sicher, jede Menge. Aber nichts ergibt auch nur den geringsten Sinn. Ist das vielleicht eine Art Scherz?«
»Nein, Doc, glauben Sie mir, das ist alles andere als ein Scherz.«
Wu seufzte. »Also schön. Aber wenn ich herausfinde, dass irgendein Heißsporn von Detective versucht, mich auf den Arm zu nehmen, können Sie Ihre Leichen hier meinetwegen bis unter die Decke stapeln. Dann gehe ich zurück nach Harvard.«
»Was haben Sie herausgefunden?«
»Wo soll ich anfangen? Mit dem, was ich erklären kann, oder mit dem, was unmöglich erscheint?«
»Fangen wir bei dem an, was Sie erklären können.«
Dr. Wu sah normalerweise aus wie aus dem Ei gepellt – das Haar perfekt frisiert, elegant gekleidet, glatt rasiert. An diesem Nachmittag jedoch wirkte er müde und hatte tiefe Ringe unter den Augen; der obere Knopf seines Laborkittels stand offen, und das weiße Hemd darunter war verknittert. Jefferson bemerkte einen Fleck auf dem Hemd, der ihn an Babynahrung erinnerte.
»Lassen Sie mich Ihnen zuerst eine Frage stellen«, begann Dr. Wu.
»Schießen Sie los.«
»Was ist so wichtig an diesem Fall, Will? Nicht nur, dass ich an den Tatort gerufen und dort angegriffen werde«, sagte Wu und meinte den Toten, der nach ihm gegrapscht hatte, »sondern ich werde in der Nacht aus dem Bett gezerrt, um die Autopsie vorzunehmen. Ich habe zu Hause eine Frau und einen Säugling! Es ist schwer genug, eine Nacht ungestört zu schlafen, ohne dass das Telefon um drei Uhr morgens klingelt. Was ist mit diesem Fall?«
»Haben Sie den Namen auf der Akte gelesen?«
»Kenneth Lyerman.«
»Das ist der Punkt, Doc. Wissen Sie, wer Kenneth Lyerman ist?«
»Sie werden es mir sicher gleich sagen.«
»Der Sohn von Joseph Lyerman, Besitzer der größten
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