Dämon
abgelegenen Winkel der Erde. Als das Skelett von Qinghai in den dreißiger Jahren in China gefunden wurde, lebte das Interesse an der Dämonologie wieder auf. Eine spezielle Studienrichtung entwickelte sich mit dem Ziel, die verbliebenen drei Skelette aufzuspüren und zu bergen.
Die Stelle, von der angenommen wird, dass Sir Gerard dort Sidina und seine drei Gefährten angegriffen und besiegt hat, liegt ein kleines Stück westlich vom heutigen Isfahan, der alten Hauptstadt Persiens. Mit dieser Information als Ausgangsbasis verfolgten Gelehrte die Bewegungen der Kreuzritter zurück. Eine Gruppe war nach Westen gegangen, bis in den Süden Asiens. Die zweite Gruppe war nordwestlich gereist und bis in den adriatischen Raum gekommen – den Balkan, genauer gesagt –, während die dritte Gruppe mit dem Schiff nach Westen fuhr, und man nimmt an, dass sie die amerikanische Küste erreichte.«
»Die amerikanische Küste?«, fragte Jefferson ungläubig. »Wäre das nicht viel zu weit für die damalige Zeit gewesen? Sie besaßen nicht die Mittel, den Atlantik zu überqueren.«
»Vielleicht. Doch als Sir Gerard allein von seiner Reise zurückkam, halb wahnsinnig vor Durst und Hunger, brachte er unter anderem einen Reisekorb mit. Er war mit roten und grünen Symbolen verziert, die Herzen, Reben und Gesichter darstellten – exakt den gleichen Symbolen, die spätere europäische Entdecker bei den Indianerstämmen von Neuengland fanden. Sir Gerard redete nie über seine Reise, obwohl es in seinen Manuskripten vage Andeutungen gibt. Vielleicht bedeutet der Korb ja, dass Sir Gerards Reise erfolgreich verlief und dass er die Neue Welt Jahrhunderte vor allen anderen Europäern erreichte«, sagte Ugriumov und blickte auf den Sarkophag hinunter. »Und dort liegt Sir Gerard nun.«
Jefferson betrachtete die Überreste des Ritters erneut. An der Seite, neben dem Brustpanzer, ruhte ein großer, ledergebundener Foliant. Ugriumov streckte die Hand danach aus, zog das Buch aus dem Sarkophag und klopfte vorsichtig mit der flachen Hand den Staub vom Deckel.
»Dies ist eine Sammlung seiner Schriften. Das ist es, was ich meinte, als ich vorhin andeutete, dass ich Ihnen etwas zeigen möchte«, sagte Ugriumov. »Hier hat er seine Begegnungen mit den Dämonen festgehalten. Die Manuskripte wurden im Jahre 1910 von einem Geschichtsprofessor aus Oxford übersetzt und anschließend wieder hierher zurückgebracht. Falls Sie es tatsächlich mit einem Dämon zu tun haben, werden Sie die Anweisungen benötigen, die in diesem Buch geschrieben stehen.
Und falls es von Interesse für Sie ist – in einigen der späteren Schriften gibt es Hinweise darauf, dass möglicherweise an der Stelle, wo er den Leichnam des Dämons vergraben hat, eine Kopie des Manuskripts versteckt liegt. Damit die Menschen erfahren, womit sie es zu tun haben, sollte der Dämon je wieder zum Leben erweckt werden.«
Ugriumov hielt Jefferson das Manuskript entgegen. Jefferson streckte die Hand danach aus, doch Ugriumov zog es zurück und packte stattdessen die Hand des Detectives. Er hatte sich unglaublich schnell bewegt; Jefferson hatte nicht einmal ansatzweise reagieren können. Und der alte Mann hielt Jeffersons Hand mit einer Kraft gepackt, wie Jefferson es niemals für möglich gehalten hätte.
»Erinnern Sie sich, wie ich Sie anfangs gefragt habe, ob Sie ein religiöser Mensch sind?«, fragte Ugriumov.
»Ja …«, antwortete Jefferson verdutzt. Der Russe hielt ihn immer noch mit eisernem Griff.
»Und, Detective Jefferson? Glauben Sie an Gott?«
Jefferson blinzelte überrascht. »Ob ich an Gott glaube? Nun, ich habe noch nie einen Fall allein durch Glauben gelöst.«
»Ohne Glauben werden Sie scheitern.«
Ugriumov ließ Jeffersons Hand los und streckte ihm das Buch hin. Jefferson starrte auf den ledergebundenen Folianten. Dann nahm er die Manuskripte langsam aus Ugriumovs Hand entgegen.
Jefferson und McKenna verließen das Museum und kamen an einer Gruppe von Frauen vorbei, die aus einer orthodoxen Kirche an der Straßenecke strömte. Jefferson erinnerte sich an Kirchen, Predigten, alte Frauen, die stark nach Parfüm und Puder rochen und sich während heißer Sommernachmittage endlos Luft zufächelten, doch er erinnerte sich nicht, jemals ein gläubiger Mensch gewesen zu sein. Sein Job ließ ihm keinen Raum für Glauben. Er durfte den Menschen auf der Straße nicht vertrauen. Die Arbeit als Polizist hatte ihn zynisch werden lassen, und sein Zynismus hatte jeden Rest von
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