Dämon
Deckel und Seite. McKenna ging in die Hocke, nachdem sie ihre Jeans ein Stück hochgezogen hatte. Sie untersuchte den Deckel und senkte den Kopf, um den Staub zu betrachten.
»Jemand ist vor kurzem hier gewesen«, sagte sie. »In den letzten Tagen, würde ich sagen. Die Staubschicht an den Ecken ist weniger dick als auf dem restlichen Deckel.«
Jefferson blickte zu Ugriumov, der einen Augenblick zögerte, bevor er antwortete. »Nachdem Dr. Wu mich angerufen und mir Einzelheiten über Ihre Ermittlungen mitgeteilt hatte, kam ich hierher, um mich zu überzeugen, ob es noch da war.«
»Ob was noch da war? Wer war dieser Mann?«
Ugriumov sah Jefferson in die Augen. Der Schein der Taschenlampen erzeugte tiefe Schatten auf seinem Gesicht, die sich bewegten wie schwarze Blutegel.
»Sir Gerard und seine Kameraden durchquerten im Jahre 1187 den See Genezareth. Sie trugen eine Reliquie des Wahren Kreuzes mit sich, an das Jesus Christus geschlagen worden war. Während ihrer Reise wurden die Kreuzritter von den Muslimen unter Salah as-Din Yussuf ibn Ayub, dem Befehlshaber der syrischen Truppen, angegriffen und geschlagen«, sagte Ugriumov. »Die Schlacht tobte drei Tage lang in der Wüste, und in jeder Nacht kam etwas aus dem Sand nach oben und stahl die Toten des Tages.«
»Was war dieses Etwas?«, fragte McKenna leise.
»Die Leichen wurden von der Bestie verstümmelt. Drei parallele Schnitte über der Brust. Sir Gerard hat die Geschichte niedergeschrieben und mit sich geführt. Er war damals zwanzig Jahre alt. Und er war es auch, der erkannte, dass das wahre Böse nicht die Truppen Saladins waren, sondern die dunkle Macht, die des Nachts aus dem Boden kam und die Toten stahl. Sir Gerard erblickte das Gesicht dieses Bösen und gelangte zu der Ansicht, dass es der Krieger Sidina war, der Mann, dessen Ruf weit über dieses umkämpfte Land hinauseilte.
Sidina gehörte zu den Assassinen, einem Geheimbund, den die Muslime in Persien gegründet hatten und der von Shaykh-al-Jabal angeführt wurde. Gegen Ende des elften Jahrhunderts hatten die Assassinen eine Reihe von Stützpunkten im Nordwesten von Syrien errichtet, von wo sie die Kreuzritter über viele Jahre hinweg terrorisierten. Shaykh-al-Jabal hieß bei den Kreuzrittern ›der Alte Mann von den Bergen‹, und Sidina Ali war der ›Vollkommene Krieger‹. Selbst als junger Ritter muss Sir Gerard die Legende von Sidina gekannt haben und die Geschichten von den zahlreichen großen Rittern, die von Sidinas Hand oder der seiner drei Gefährten gefallen waren. Nach der Schlacht von Hattin widmete Sir Gerard sein Leben der Suche nach Sidina und seinen drei Gefährten, um ihn zu stellen und zu erschlagen.
Fünfundvierzig Jahre später kehrte Sir Gerard in das Land der Kreuzzüge zurück, von wo aus er Sidina durch die syrische Wüste bis nach Persien verfolgte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Herrscher Persiens der Wildheit und Skrupellosigkeit Sidinas überdrüssig geworden, und weil sie fürchteten, dass Sidina sich gegen sie erheben könnte, verrieten sie ihren mächtigsten Krieger an Sir Gerard und seine Tempelritter.
Im Jahre 1232 griff Sir Gerard den Palast und die Gärten Sidinas an, und es gelang ihm im Alter von fünfundsechzig Jahren, Sidina zu schlagen. Er tötete ihn und seine drei Gefährten. Wie ich bereits erwähnte, glaubte Gerard, dass Sidina die Verkörperung des Bösen sei. Ein Dämon auf Erden. Also wählte er seine tapfersten Männer aus, um die Überreste Sidinas und der drei gefallenen Assassinen in vier verschiedene Winkel der Welt zu bringen. Sir Gerard selbst reiste mit fünf anderen Rittern und den sterblichen Überresten Sidinas, doch als er acht Jahre später nach Hause kam, im Alter von dreiundsiebzig Jahren, war er der Einzige, der die Reise überlebt hatte.«
Ugriumov bückte sich und schob den schweren Steindeckel zur Seite, der den Sarkophag verschloss. Es gab ein lautes schabendes Geräusch, als Stein auf Stein mahlte. Im Sarkophag lag das Skelett eines Mannes, vertrocknet und staubig, unter einem aus Eisen geschmiedeten Brustpanzer mit dem Roten Kreuz der Kreuzfahrer. Über dem Brustpanzer lag ein Helm mit einem massiven Nasenschutz und gerundeter Haube, der einen Totenschädel mit leeren Augenhöhlen umschloss.
»Was Sie eben in der Kiste gesehen haben«, fuhr Ugriumov fort, »ist das einzige Skelett, dessen Bergung bekannt geworden ist. Falls die Geschichte der Wahrheit entspricht, gibt es noch drei weitere, jedes in einem anderen,
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