Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
er ihre mit Pflastern übersäten Fußsohlen.
Na, wenn ihre überstürzte Flucht mal nicht ein Kompliment für meine fantastische Wirkung auf Frauen ist, dann weiß ich auch nicht. Ich brauche mich Ella nur zu nähern, und schon verlässt sie Haus und Grund, um ins Asyl zu gehen, stellte Gabriel schonungslos sich selbst gegenüber fest.
Ella war also zu ihrer Freundin geflohen. Ob das nun gut oder schlecht war, konnte er nicht einschätzen. Er hatte Nora heute Nachmittag kaum beachtet, obwohl er einige Male ihren prüfenden Blick auf sich gespürt hatte. Unter anderen Umständen hätte er darauf getippt, dass sie ihn als Küstenjungen abcheckte. So ging es ihm seit Tagen, sobald er auch nur zum Bäcker ging. Eine Hosenanzugträgerin hatte ihn sogar mit einem maliziösen Lächeln gefragt, ob er nicht Interesse hätte, ihren Mercedes mal einer privaten Inspektion zu unterziehen. Er sei doch Finn, der Automechaniker, oder etwa nicht?
Bislang hatte Gabriel solche Erlebnisse mit einem Grinsen wegstecken können, doch
spätestens nach seinem Besuch bei Bernadette sah er das anders. Die Angelegenheit war nicht mehr witzig, und vermutlich sah das auch Ellas Freundin so. Eine Frau, die in den schweigsamen und düsteren Gregor verliebt war, würde Ella bestimmt von einem Kerl von seiner Sorte abraten, der Sandfern vollkommen unbekümmert seinen nackten Hintern
präsentierte. Und dabei ist das noch eine von meinen harmloseren Schnapsideen gewesen, schob er selbstquälerisch hinterher.
Gabriel löste sich vom Anblick der schlafenden Ella und wanderte durchs Zimmer, um sich wenigstens ansatzweise auf etwas zu konzentrieren, das nicht mit ihr zusammenhing.
Schließlich musste er herausfinden, was er hier eigentlich zu suchen hatte, obwohl Ellas Traum doch eine solche Gefahr für sie beide barg. Er hatte stundenlang darauf gewartet, dass sie in die Villa zurückkehrte, damit sie sich aussprechen konnten. Nur war Ella nicht zu ihm gekommen, während er es kaum ausgehalten hatte, von ihr getrennt zu sein. Schon in dem Moment, in dem sie sich von ihm abgewandt hatte, war ihm klar gewesen, dass die
Verbindung zu ihr sich nicht mehr ohne Weiteres kappen ließ. Weder von seinen Gefühlen her noch zu ihrem Traum, der ein ganz einiges Band zwischen ihnen geknüpft hatte. Selbst wenn er Sandfern für immer den Rücken kehrte, würde die Verbindung fortbestehen, um ihn Stunde um Stunde daran zu erinnern, dass er abermals etwas Unersetzliches verloren hatte.
Also war er auf dem einzigen Erfolg versprechenden Weg zu ihr gegangen: durch den
Spiegel.
Aufs Neue wanderte sein Blick zu Ella, obwohl das Zimmer randvoll mit Augenfängern war.
Ja, das war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn. Noch nie hatte er auch nur annähernd ein solches Interesse an einer Frau an den Tag gelegt oder so eine Sehnsucht nach der Realität verspürt. Wann hatte er jemals in dieser Zwischenwelt verweilt, wenn sich ihm ein Traum anbot? Dennoch gab es in diesem Moment nichts Anziehenderes als die sich unruhig rekelnde Ella. Genau darin lag jedoch Gabriels unlösbares Problem, denn wenn er etwas für Ella empfand, musste er sich von ihr fernhalten. Er war zu einem Gefahrenquell für sie geworden, weil er sich trotz allem davor fürchtete, dem Druck nicht länger standzuhalten und der Versuchung letzten Endes doch noch zu erliegen, ganz gleich, wie fest er sich
vorgenommen hatte, dass dies niemals geschehen würde. Vor allem nach dem, was
Bernadette ihm offenbart hatte. Er brauchte für den fordernden Inkubus einen
außergewöhnlich starken Traum, wenn er überleben wollte. Und in all den Jahren, in denen er schon die Grenze zwischen den Welten durchschritt, hatte er keinen anderen gesehen, der an Ellas Traum heranreichte.
»Du bist die Lösung für mein Problem«, flüsterte Gabriel, als er sich neben die Schlafende vor das Bett kniete. »Wenn ich dich jetzt rufen würde, könnte ich morgen als freier Mann aufwachen. Aber wäre ich das wirklich? Ein freier Mann, der das Leben der Frau zerstört hat, die er … Nein, das kann ich nicht.«
Als lösten seine Worte ein Erdbeben aus, begannen die Wände um ihn herum zu wackeln, und er konnte die Erschütterungen bis in den tiefsten Winkel seines Selbst spüren. Dicke Adern aus Quecksilber liefen über das Orange der Wände, bis sich das Studentenzimmer in ein Spiegelkabinett verwandelt hatte.
Gabriel sprang hoch und wirbelte um die eigene Achse. Überall sah er nur sein Spiegelbild, trotzdem war ihm klar,
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