Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
verriet, dass es noch früh am Morgen war. Nirgendwo war eine Spurvon dem
vermeintlichen Liebespaar zu entdecken. Gut, dann
stimmte die Theorie mit dem
Freilichtspektakel schon einmal nicht. Blieb also nur Gabriels Zimmer als Tatort, denn wenn sie sich in Ellas Quietschbett gewälzt hätten, wäre ihm das nicht entgangen.
Jetzt reicht’s! Kimi setzte einen Schlussstrich unter seine Fantasien. Das ist deren Sache, du kümmerst dich besser um deinen eigenen Kram. Indem du dir zum Beispiel ein
ordentliches Outfit für den Tag zusammenstellst. Möglichst mit einem Oberteil, unter dem sich das große Pflaster nicht abzeichnet. Das nächste klärende Gespräch mit Ella, in dem es um seine vermeintlich selbstzerstörerischen Exzesse ging, wollte er nach Möglichkeit hinauszögern.
Obwohl ihm allein bei dem Gedanken an das Pflaster auf seiner Brust – oder vielmehr an das, was sich darunter verbarg – schwummrig wurde, begann er, an den Kanten
herumzuspielen. Sie ließen sich leicht lockern, und ehe Kimi sich’s versah, hielt er das weiße Quadrat in der Hand. Nun, ganz blütenweiß war es nicht, in seiner Mitte befand sich ein getrockneter brauner Fleck. Getrocknet war gut, das bedeutete, dass die Wunde zu bluten aufgehört hatte. Aber noch lange nicht, dass er den Mut aufbrachte, sich das kleine
Wunderwerk endlich einmal anzuschauen.
Auf seiner Unterlippe herumkauend, linste Kimi zum Spiegel mit dem goldenen
Schnörkelrahmen aus Großtante Wilhelmines Bestand, auf den weder Ella noch Gabriel
Anspruch erhoben hatten, weshalb er jetzt seine spärliche Einrichtung aufwertete. Da er sich bislang noch nicht getraut hatte, Ella zu fragen, ob er offiziell einziehen dürfe – was er sich als Ziel gesetzt hatte, denn zu seinen fucking Eltern würde er um keinen Preis zurückkehren
–, hatte er auch kaum Möbel in dieses Zimmer gebracht, um keinen unnötigen Verdacht zu erregen. Aber der Spiegel war ein Schmuckstück, sehr opulent. Dass er sich bereits
schwärzlich färbte und Wellen warf, änderte daran nichts.
Kimi gab darauf acht, dass er sich günstig vor dem Spiegel positionierte, bevor er sich ansah. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, da seine Einstellung gegenüber seinem Äußeren
ständig kippelte. An vielen Tagen fand er sich fett und plump, an anderen stachen ihm seine hervorspringenden Rippen und die knubbeligen Knie ins Auge, die ihn wie den miserabel ernährten Jungen aussehen ließen, der er in Wirklichkeit war. Aber heute war einer von den klasse Tagen, denn er erblickte ein anmutiges und umwerfend androgynes Geschöpf … nun ja, androgyn, wenn man die Körpermitte außen vor ließ. Genau wie bei seiner eindeutig männlichen Stimme konnte in dieser Hinsicht nicht geschummelt werden. Aber selbst das war Kimi heute egal, voller Zufriedenheit streichelte er seine Körperlinie entlang und wäre fast bei dieser Zärtlichkeit hängen geblieben, als ein Lichtstrahl auf das silberne
Schmuckstück auf seiner Brust fiel.
Schlagartig verkrampfte Kimi sich, und die Furcht vor der frisch gestochenen Wunde kehrte zurück. Es kostete ihn jede Menge Überwindung, näher an den Spiegel zu treten und das Piercing in Augenschein zu nehmen. Seit er es vor einigen Tagen hatte stechen lassen –
inspiriert durch den bösartigen Kommentar seiner Mutter –, hatte er es nicht gewagt, es anzusehen. Auch jetzt bekam er angesichts des Fremdkörpers, der in seiner Brustwarze steckte, weiche Knie. Je länger er allerdings darauf schaute, desto mehr schwand das mulmige Gefühl, und Stolz breitete sich aus.
»Friss das, Liv«, verkündete er mit Siegerstimme und betastete vorsichtig den schmalen Silberring. Der Wundkanal, in dem er steckte, juckte mehr, als dass er schmerzte. Gar nicht so unangenehm, dieses Jucken, stellte er fest.
Während er zunehmend mutiger an dem Ring herumspielte, fiel ein Schatten auf den
Spiegel, und als Kimi irritiert aufblickte, betrachtete er nicht länger seinen schmalen Körper mit dem halb leeren, ehemaligen Musikzimmer im Hintergrund, sondern Gabriels
Schlafzimmer. Das begriff er innerhalb des Bruchteils einer Sekunde, weil Gabriel schlafend auf seinem Futon lag. Alleine! Dabei sah er noch tausendmal umwerfender aus, als Kimi es sich in seinen Einschlaffantasien ausgemalt hatte.
»Wahnsinn. Was für ein geiler Traum.«
Denn dass er träumte, daran hegte Kimi nicht den geringsten Zweifel. Kein Wunder, dass er sich so fantastisch fühlte. Hätte ihm auch gleich einfallen können, als die
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