Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
dass dort hinter der hauchdünnen Glaswand ein anderer stand und lauerte.
Gabriel starrte in sein abgehetztes Gesicht, dann blickte er direkt in seine Augen, die mehr denn je zwei glatten Kieselsteinen ähnelten. Seine Augenfarbe war das einzig Unauffällige an seinem Erscheinungsbild und zugleich das Einzige, aus dem er sich etwas machte. Das bin ich, stellte er fest. Und so sollte es auch bleiben, verdammt. Niemand anders sollte sich länger hinter seinem Bild verbergen.
»Du kannst wieder gehen, dein Besuch ist reine Zeitverschwendung«, sagte er leise, erfüllt von der Furcht, Ella gegen seinen Willen zu rufen, nachdem sie das letzte Mal so stark auf seine Stimme reagiert hatte. »Ich werde mir diesen Traum unter keinen Umständen nehmen, aber ich werde zusehen, dass ich etwas anderes für dich finde. Alles, was ich brauche, ist etwas mehr Zeit.«
Erneut fuhr ein Beben durch die gläsernen Wände und drohte, sie zum Einsturz zu bringen.
Ein deutlicheres Nein hätte der Inkubus nicht hervorbringen können.
Ella stöhnte und warf sich im Bett herum, wobei ihr Handrücken in Noras Gesicht landete, die sich murmelnd beschwerte, ohne jedoch richtig aufzuwachen.
Mit einem Satz stand Gabriel vor der Wand und berührte sein Spiegelbild. »Bitte«, flüsterte er. »Ich kann ihren Traum nicht nehmen. Das würde mich auf eine andere Art zerbrechen als auf die, die du mir androhst. Die Nacht ist voller Träume, warum muss es ausgerechnet Ellas sein?«
Sein Gegenüber starrte ihn nur abwartend an.
Im Hintergrund des Spiegelbildes sah Gabriel, wie sich fingerdicke Risse in Ellas
schlafende Gestalt gruben, das Zimmer mit allem in ihm zerbarst und zu silbrigem Staub zerfiel. Ein unsichtbarer Finger schrieb hinein:
Beeil dich. Ansonsten hole ich mir den Garten und alles, was in ihm ist, gleich dazu. Nur wird dann nicht mehr von ihm übrig bleiben als das.
Ein plötzlicher Windstoß zerstob den Silberstaub und ließ nichts als Leere zurück.
Obwohl Gabriel wusste, dass es nur eine Illusion war, die ihm der Spiegel zeigte, begriff er die Drohung allzu gut. Aber auch die Chance, die ihm geboten wurde. Entschlossen trat er in den Spiegel, auf den Schock des Schmerzes gefasst, der ihn jedes Mal überkam, wenn er die Grenze passierte und das Gefühl hatte, durch unzählige Schichten von Glas zu fallen.
Diese Nacht war für ihn verloren. Aber in einer der nächsten würde er fündig werden müssen, ansonsten würde der Hunger des Inkubus weit mehr als nur ihn verschlingen.
Als Gabriel durch den Spiegel ins Dachzimmer der alten Villa zurückkehrte, war ihm eiskalt.
Am ganzen Körper geschüttelt, beobachtete er, wie das Spiegelglas im Rahmen schmolz, als wäre es Eis in der Sonne. Dann kehrte er seiner Pforte in die Träume der Menschen den Rücken zu. Etwas, das er schon sehr viel früher hätte tun sollen. Jetzt war es zu spät.
Kapitel 21
Hinter dem Spiegel
Obwohl Kimi schon vor einer ganzen Weile aufgewacht war, stand er nicht auf,
sondern wälzte sich noch einmal auf die andere Seite. Jeder verflixte Knochen in seinem Leib schmerzte, außerdem pochte es in seinen Handballen, von der gestrigen
Dachziegelschlepperei. Einmal abgesehen von diesen Zipperlein, fühlte er sich
ausgesprochen wohl in seiner Haut, so wohl, dass es ihn ernsthaft überraschte.
Diffuses Morgenlicht suchte sich einen Weg an den Vorhängen vorbei, die er gestern
zusammen mit Gabriel angebracht hatte. Dunkelblauer Grund mit silbernen Sternen – der Stoff war eigentlich für ein Kinderzimmer bestimmt, aber für Kimi sah er aus wie der Vorhang für eine Zaubererrevue. Die Vorstellung gefiel ihm, und er musste grinsen. Dann lauschte er, doch von seinen Mitbewohnern war anscheinend noch niemand auf den Beinen, denn außer Vogelgezwitscher war nichts zu hören. Das war keine große Überraschung, vermutlich hatten die beiden Turteltäubchen es letzte Nacht nicht mehr ins Haus geschafft und schliefen nun eng umschlungen irgendwo draußen im Garten.
Kimi war sich sicher, dass zwischen Gabriel und Ella etwas gelaufen war. Die Chemie
zwischen den beiden stimmte nicht nur, sondern glich geradezu einer überschäumenden
Reaktion. Da konnte man wirklich neidisch werden.
Die Vorstellung, auf welche Weise die beiden die Nacht verbracht haben mochten, jagte einen Energieschub durch seinen Körper, sodass er mit einem Sprung aus dem Bett war.
Unschlüssig lief er ein paar Schritte auf und ab, dann öffnete er die Vorhänge. Zwielicht fiel ein und
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