Dämonen-Zwillinge
mich?«
»Ja, ich kann dich verstehen. Aber du musst lauter reden. Deine Stimme ist so weit entfernt.«
»Gut, das werde ich tun. Wie fühlst du dich jetzt, Dagmar? Wo bist du nun?«
»Ich weiß es nicht. Aber das Licht kommt näher. Ja, es wird heller. Es zieht mich an. Ich habe Schmerzen. Jemand ruckt an meinem Körper. Ich werde gepresst. Es ist nicht schön. Es tut auch weh. Ich... ich... will keine andere werden.«
Bei den letzten Worten hatte ich aufgehorcht. Für mich stand fest, dass ich den richtigen Weg in die ferne Vergangenheit gefunden hatte. Dagmar hatte die Brücke erreicht. Sie war über sie hinweggeschritten und erlebte nun das neue Alte.
»Ich bin da, John!«
»Gut, sehr gut.« Vergeblich wartete ich auf eine Erklärung. Es reichte, das Anschauen. Da sah ich an ihrem Gesicht, welch einen heftigen Kampf sie durchlitt. Es glich schon einem Phänomen, wie sich dabei ihr Gesicht veränderte. Im Prinzip blieb es gleich, aber die Züge waren dabei, sich zu verschieben. Es entstanden gleich zwei neue Ausdrücke. Der eine kämpfte gegen den anderen, und das zweite Gesicht blieb wie eine dünne Zeichnung über dem ersten.
Ihr Stöhnen tat mir schon weh. Es schmerzte meiner Seele. Sie blieb auch nicht mehr ruhig liegen, obwohl sie sich kaum bewegte, aber sie focht einen Kampf aus.
»Hörst du mich, Dagmar?«
»Wer ist Dagmar?«
Ich erschrak nicht nur wegen der Frage, sondern noch viel mehr wegen der veränderten Stimme.
Es war nicht mehr die der Dagmar Hansen, die mir geantwortet hatte. Eine andere Person hatte aus ihr gesprochen. Ohne dass ich den Beweis besaß, wusste ich sehr genau, dass es diejenige sein musste, die von den Zwillingen getötet worden war.
»Wer bist du?«, fragte ich leise.
»Penelope...«
Ich hatte einen Namen gehört. Penelope. Er klang sehr griechisch. Möglicherweise hatte Dagmar in ihrem ersten Leben genau in diesem Land gelebt, und mir fiel der Seefahrer Odysseus ein, dessen Frau ebenfalls Penelope geheißen hatte.
»Wo lebst du?«
»In einer Stadt!«
»Allein?«
»Nein.«
»Mit wem?«
»Habe noch zwei Töchter. Isa und Irene...«
Aha. Jetzt wusste ich die Namen der Zwillinge. Isa und Irene.
Vor der nächsten Frage spürte ich in mir eine gewisse Spannung. Die Antwort würde interessant werden, so hoffte ich zumindest. »Lebst du nur allein, oder hast du auch einen Mann?«
»Mann...?«
»Ja, den Vater deiner Kinder.«
Sie schwieg. Schade, dachte ich, konzentrierte mich jedoch auf ihr Gesicht, um die Gedanken zu lesen, die sie möglicherweise durchströmten.
»Wen meinst du?«
»Ich kenne ihn nicht. Du musst es mir sagen...«
»Er ist nicht da!«, flüsterte sie.
»Aber es gab ihn – oder?«
»Ja, es gab ihn.«
»Und weiter?«
»Er ging fort.«
»Kannst du dich an ihn erinnern?« Ich wollte jetzt bei diesem Thema bleiben. »Er muss doch einen Namen gehabt haben, denke ich mir. Bitte, wenn es möglich ist, dann...«
»Er hat mich genommen. Er kam aus der Ferne. Er ist etwas Besonderes gewesen. Ich war noch jung, allein, dann ist er gekommen. Über das Meer hinweg...«
»War er ein Seefahrer?«
»Nein, nein, das war er nicht.« Es war vorbei mit dem Flüstern. Die nächsten Worte schrie sie hervor. »Er war etwas ganz anderes. Er war auch kein Mensch, sondern ein...« Sie bäumte sich hoch. Die Erinnerung schlug schmerzhafte Wellen. Sie riss den Mund weit auf, und ihr Atem zischte mir entgegen. »Er war... er war...!«, schrie sie jetzt mit einer Stimme, die sich fast überschlug, »er war ein Gott. Einer von den Göttern, die zu mir gekommen sind...«
***
Da hatte ich die Wahrheit. Endlich! Und ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht.«
Ein Gott und ein Mensch hatten Kinder gezeugt. Zwei Mädchen – Zwillinge.
Es war nicht zu fassen, aber in der griechischen Mythologie gibt es genügend Geschichten über Götter, die den Olymp verlassen hatten, um sich unter den Menschen umzusehen. Wenn sie sich mit einer Frau eingelassen hatten, dann waren die Ergebnisse oft götterähnliche Produkte gewesen, und genau das musste auch bei den Zwillingen der Fall sein, wenn sie einen Gott als Vater hatten.
Ich dachte daran, wie sie reagiert hatten. Es hatte ihnen nichts ausgemacht, ihre Mutter zu töten. Demnach musste der Keim des Bösen in ihnen gesät worden sein. Das wiederum brachte mich zu der Annahme, dass der Vater nicht eben ein griechischer Gott gewesen war, den man zu Hilfe ruft, wenn es Probleme gibt. Meiner Ansicht nach
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