Dämonendämmerung - Die Auserwählte (German Edition)
schon, Doro, spann mich nicht auf die Folter.“
„Also, gut“, sagte Doro, „Mein Gespräch findet auch übermorgen statt.“
„Wann?“
„Am späten Nachmittag“, antwortete sie knapp. Doro hatte nicht die leiseste Ahnung, wohin die ganze Sache noch führen sollte und wenn sie ehrlich zu sich war, wollte sie es auch nicht wissen. Gegenwärtig begab sie sich von Tag zu Tag nur stetig tiefer in einen Sumpf aus immer neuen Täuschungen. Und der Zeitpunkt, an dem das Konstrukt aus Unwahrheiten aus den Angeln geriet, weil sie den Überblick verlor, rückte unaufhaltsam näher.
Die letzte Stunde hatte Doro im Bad verbracht. Sie hatte sich geduscht, geschminkt und zurechtgemacht. Das Ergebnis stimmte sie einigermaßen zufrieden. Ihre dicken, kastanienbraunen Haare waren glattgefönt und im Nacken zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Make-up war dem Anlass entsprechend dezent. Es untermalte ihren hellen Teint, die schwarze Wimperntusche brachte ihre tief blaugrünen Augen zum Leuchten und der zart rosefarbene Lippenstift betonte die Sinnlichkeit ihrer Lippen. Wahrscheinlich war sie im Augenblick hübsch, auch wenn sie genau dieses Attribut für sich selbst nie zuließ. Größeres Kopfzerbrechen bereitete ihr die Kleiderfrage. Seit ihrem Beschluss, Männer aus ihrem Leben zu verbannen, hatte sich auch der Inhalt ihres Kleiderschrankes verändert. Sackähnliche Verkleidungen hatten fortan die Herrschaft übernommen. Unmutig schob Doro die Bügel mit den Anziehsachen von einer Seite der Stange auf die andere. Ihr Blick fiel auf ein Kleidungsstück, das ganz rechts unter einem Altkleiderbeutel aus Plastik hing, der das Darunter vor dem Verstauben schützen sollte. Sie nahm den Bügel mit dem knisternden Plastiksack aus dem Schrank und streifte eilig den Überzug ab. Kurz vor ihrem Unfall hatte sie sich für einen Empfang ein schwarzes Cocktailkleid gekauft. Aber sie war nie dazu gekommen, das Teil zu tragen. Das verrieten die diversen, nicht abgeschnittenen Etiketten; sogar das Preisschild war noch dran. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus war es unter dem Rotkreuzsack und mit der Zeit auch aus Doros Gedächtnis verschwunden. Mit zitternden Händen öffnete sie den Reißverschluss im Rücken. Sie schlüpfte hinein. Einen Moment lang befürchtete sie, es könnte ihr nicht mehr passen, denn seit sie keinen Sport mehr trieb, hatte sie ein paar Pfund zugenommen. Doch ihre Sorge war unbegründet gewesen, denn das knielange Kleid schmiegte sich an ihre Figur wie eine zweite Haut. Sie drehte sich vor dem Spiegel. Der von der Taille abwärts ausgestellte Rock schmeichelte ihren weiblichen Formen und folgte der Bewegung ihrer Drehung. Dekolletee, Ärmelchen und die Rückenpartie waren aus einem transparenten, ebenfalls schwarzen Chiffonmaterial gearbeitet und gaben dem Kleid eine elegante Sittsamkeit. Doro schlüpfte in eine dunkle, blickdichte Strumpfhose und schwarze Pumps. Sie nahm ein Samtbeutelchen aus der Schublade, zog es auf und ließ die schneeweiße Perlenkette in ihre Hand gleiten. Eric hatte sie ihr zu ihrem achtzehnten Geburtstag geschenkt. Die Anlässe, an denen sie die Kette getragen hatte, ließen sich an einer Hand abzählen, zumal sie Perlen eigentlich altmodisch fand. Sie waren etwas für ältere Damen, die ihr Haar silbergrau färbten und nach Lavendel dufteten. So wie ihre Großmutter; auch sie hatte ihre Perlen immer nur zu besonderen Gelegenheiten oder an hohen Feiertagen getragen. Die weißen Perlmuttkugeln nahmen langsam die Wärme ihrer Hand an. Sie legte die Kette um und betrachtete sich noch einmal abschließend im Spiegel. Sie war dem Anlass entsprechend gekleidet: Weiblich apart und ein kleines bisschen sexy, aber keineswegs aufreizend. Auch wenn ihr das heutige Date bis ins Mark widerstrebte, so hing nichts Geringeres als ihre Zukunft davon ab. Das Schicksal hatte ihr eine unverhoffte Chance in die Hände gespielt und die galt es nun zu nutzen.
Die Türglocke ertönte. Doro warf einen Blick auf den Radiowecker an ihrem Bett. 18.30 Uhr. Pünktlicher ging es nicht. Sie hastete ans Fenster und sah auf die Straße hinunter. Vor dem Haus parkte Heyders Limousine. Der Fahrer, ein stämmiger Mann mittleren Alters mit Brille und in einen dunklen Anzug gekleidet, wartete an der hinteren Tür auf der Beifahrerseite, jederzeit bereit, sie für Doro zu öffnen.
Die Fahrt zum Hotel dauerte knapp zwanzig Minuten. Mit jeder Minute, die verstrich, senkte sich die Dunkelheit
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