DÄMONENHASS
gleich an seinem Verstand zog.
»Nathan!« Abermals erscholl Andrei Romanis Ruf aus der Ferne, gleich darauf rollte das Echo seiner Donnerstimme von den Hügeln herab: »Nathaan! ... Nathaan! ... Nathaan!«
Nathan hatte sich mittlerweile vom Tor entfernt, konnte aber noch immer weder den Blick noch seine Gedanken davon reißen. Das Tor zu den Höllenlanden, zu einer anderen Welt, vielleicht zu einer Welt, die schrecklich war.
Wenn Lardis davon erzählte, was sich in jener Nacht vor vierzehn Jahren ereignet hatte, sprach er für gewöhnlich von einem ›Höllenhauch‹, der brüllend aus dem Tor hervorgebrochen war und die Wamphyri mit seinem Feuer verbrannt hatte. Doch ein anderes Mal, in weniger romantischer Stimmung, hatte er eingeräumt, es könne sich auch um eine unfassbar schreckliche Waffe gehandelt haben, deren Sprengkraft so groß war, dass selbst die Höllenländer wenig oder gar keine Kontrolle darüber besaßen. »Wie ihre Welt auch gewesen sein mag«, sagte er dann stets, »mittlerweile muss sie eine wahre Hölle sein, wenn dies bloß der Ausläufer von einem ihrer Kriege war! Zekintha hat mir alles über die ungeheure Vernichtungskraft ihrer Waffen erzählt.«
Mit langen, vorsichtigen Schritten verfiel Nathan in einen raschen Lauf. Er hatte die anderen zu lange warten lassen, und sie waren sicher ungeduldig geworden. Damit hatte er recht. Fast eine Meile entfernt beschwerte sich Andrei Romani erneut. »Ist er denn nicht nur blöde, sondern auch taub?«
Mit gewandten, klimpernden Schritten schlossen Nestor und Jason zu den beiden Älteren auf. »Nein.« Nestor schüttelte den Kopf und verzog abschätzig das Gesicht. »Mein Bruder ist weder taub noch blöde, nicht einmal stumm. Er will bloß nicht reden. Er ist eben ... Nathan.«
Lardis warf einen kurzen Blick auf Nestor. Er konnte fast die Bitterkeit schmecken, als sein Mund die säuerlichen Worte aussprach. Schade, dass sie einander nicht näherstanden, dachte er, wie sie es als Kinder gewesen waren. Damals waren sie unzertrennlich gewesen.
Nestor hatte auf seinen Bruder achtgegeben, noch nachdem sie das zehnte Lebensjahr schon weit überschritten hatten. Vielleicht hatte er zu lange auf ihn aufgepasst, hatte einmal zu oft für ihn gekämpft, seinetwegen einmal zu viel Prügel bezogen. Jedenfalls war es heute mit ihnen nicht mehr wie früher. Und natürlich war da noch Misha. Jungen werden immer Jungen und Freunde bleiben – bis sie erwachsen und zu Nebenbuhlern werden.
Nathan und Nestor Kiklu: Nanas Söhne ...
Zwillinge, oh ja, dachte Lardis, aber einander ganz unähnlich. Tatsächlich schienen sie sich so unähnlich wie nur möglich zu sein: in ihrem Aussehen, ihren Ansichten, ihrer Lebensart. Nestor aufrecht, großspurig, tollkühn, geradeheraus und auch lärmend; Nathan niedergedrückt (aber wovon?), zurückgezogen, ernst und natürlich still.
Nestor war seiner Mutter ähnlich. Wenn man sie zusammen sah, konnte es keinen Zweifel daran geben, dass er ihr Sohn war. Doch während Nana klein war, war Nestor hochgewachsen, ebenso wie sein Bruder, hätte dieser sich nur einmal aufrecht hingestellt! Beide hatten lange Glieder, was auch etwas eigenartig war, denn ihr Vater Hzak Kiklu war so klein wie Nana gewesen. So konnte man sich besser in Erdlöchern verstecken. Vielleicht war das die Erklärung. Seit der Vernichtung der Wamphyri waren viele Kinder groß und stark herangewachsen.
Nestor hatte die dunklen, leicht schräg gestellten Augen seiner Mutter, ihre gerade, wenngleich etwas kleinere Nase, ihr schimmerndes, schwarzes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Auch ihr Lächeln, das manchmal geheimnisvoll wirkte. Die Stirn war breit und das Kinn sprang leicht vor, was man besonders deutlich sah, wenn er zornig war. Sein Körper war kräftig, und er trug seine Jacke mit aufgerollten Ärmeln, damit seine breiten Unterarme besser zur Geltung kamen. Er sah durch und durch wie ein Szgany aus. Das war Nestor, ein Junge, auf den man stolz sein konnte.
Doch was Nathan betraf: Er stellte eindeutig einen Rückschritt dar! Aber in welche Richtung – das konnte Lardis sich nicht vorstellen. Nathans Augen waren weniger schräg, und auch wenn sie saphirblau waren, ermangelte es ihnen doch an der Tiefe jenes Edelsteins. Ihr Blick war meist leer, verhangen oder wanderte umher (ganz wie der Verstand dahinter, vermutete Lardis, und tatsächlich ganz wie der Junge selbst). Aber das Sonderbarste an ihm war sein Haar, das die Farbe von feuchtem Stroh
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