DÄMONENHASS
verloren hatte. Als er schließlich zu Andrei aufblickte und mit seiner altvertrauten, rauen Stimme ein »Nun?« knurrte ... Da wusste sein langjähriger Freund und Verbündeter, dass Lardis wieder der Alte war. Grimmig nickte er und sagte: »Früher warst du ein Mann aus Eisen, mein Freund. Jetzt ist es an der Zeit, wieder zu Eisen zu werden. Wir stehen dort unten bereit.«
Lardis stand auf, richtete sich kerzengerade auf und schüttelte seine Müdigkeit ab.
»Dann lass uns ans Werk gehen«, sagte er einfach. Mehr nicht.
Etwa auf halbem Weg nach unten blieb er kurz stehen und bat Andrei um Verzeihung, dass er ihn geschlagen hatte, auch dafür, dass er einsam und allein tief im Wald jenseits des Südtores gewesen war, um dort verbittert mit sich und der Welt zu hadern, als die Wamphyri ihren verheerenden Schlag gegen Siedeldorf führten.
Darauf erwiderte Andrei nur: »Für beides hast du meine Verzeihung, doch nur, wenn du mir vergibst, dass ich je an dir gezweifelt habe ...«
Seitdem hatten die beiden getan beziehungsweise in die Wege geleitet, was getan werden musste. Zwischendurch holten sie etwas Schlaf nach, Letzteres aus schierer Erschöpfung. Zum Glück waren sie sowohl körperlich als auch seelisch am Ende, sodass sie von Träumen verschont blieben. Andernfalls wäre ihnen ihre Aufgabe unmöglich geworden. Arbeiten dieser Art sorgten nicht für angenehme Träume. So schliefen sie nun in einem nahe des Versammlungsplatzes hastig aufgestellten Zelt, als Nathan Kiklu und fünf andere aus der Dunkelheit in das Licht der Lampen und des prasselnden Hauptfeuers gebracht wurden.
Lardis und Andrei war das Musterungsverfahren nicht neu, die Untersuchung oder Befragung der Verwundeten nach einem Überfall der Wamphyri. In den alten Zeiten hatten sie zahlreiche solcher Verfahren erlebt. Aber der letzte Überfall war achtzehn Jahre her, und sie waren nicht mehr daran gewöhnt. Natürlich waren jedes Mal die Freunde und Familien der zu Untersuchenden anwesend. Ihre dunklen Szgany-Augen schimmerten im zuckenden Feuerschein und schienen ihrerseits stumm die Befragenden auszuforschen.
Doch wenn der Schrecken nicht jetzt auf Geheiß freier
Menschen geschah – Menschen, die immer noch sie selbst waren –, würde er nur später und aus ganz anderer Richtung kommen. Das war jedem Einzelnen klar.
Lardis trat an den Tisch. Er erschauerte unter der Decke, die um seine Schultern lag, und knotete die Ecken unter seinem Kinn fest. Die verschiedenen Brandherde waren schon vor Stunden gelöscht worden. Seitdem hatte die Nacht sich abgekühlt ... oder vielleicht lag es auch an ihm. Wenigstens hatte der Gestank der Ungeheuer sich mittlerweile verflüchtigt. Er sah zu den Berggipfeln auf, deren Ränder unter dem Licht der Sterne bläulich schimmerten. Auf den Gipfeln lag kein Dunst mehr. Außerdem schlugen die Wamphyri während eines einzigen Sonnunters nur selten am gleichen Ort zweimal zu. Für gewöhnlich folgten ihre Überfälle der sinkenden Sonne nahezu auf dem Fuße, wenn sie am hungrigsten waren.
Es erschien ihm unwirklich, dass ihm diese Dinge jetzt wieder einfielen. Dennoch war ihm klar, dass es notwendig war, sich dies alles vor Augen zu führen.
Die erste Gestalt auf dem Tisch war eine Frau in mittleren Jahren, sie war vielleicht sechsunddreißig. Lardis riss sich zusammen, rieb sich den Schlaf aus den Augen und richtete den prüfenden Blick auf ihr Gesicht. Er kannte sie: Alizia Gito. Ihr Mann war seit drei Jahren tot; auf der Jagd in den Bergen hatte er sich bei einem Sturz das Rückgrat gebrochen. Am Zeigefinger seiner linken Hand trug Lardis einen Goldring, in den ein großer, flacher, glatter Stein eingelassen war. Den hielt er ihr vor den offenen Mund und suchte nach einem Anzeichen dafür, dass sie atmete. Geduldig wartete er darauf, dass der polierte Stein beschlug, und schließlich wich das Funkeln des Steines einer undurchsichtigen Feuchtigkeit. Sie atmete, aber nur schwach und sehr langsam. Dies bewies an sich noch gar nichts, nur dass sie lebte. Lardis hatte schon Menschen sterben sehen und wusste, dass ihr Atem oft auf diese Weise schwand. Oh, aber er wusste auch, wie gut der Untod das Leben nachzuahmen verstand!
Alizias Gesicht war böse geprellt und der Kiefer sah aus, als
sei er gebrochen, aber sie wies keine für Lardis ersichtlichen Wunden auf. Keine Einschnitte, und der Hals war unverletzt. Er rief zwei ältere Frauen heran. »Zieht sie aus ...«
Ein hagerer junger Mann trat vor, packte Lardis
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