DÄMONENHASS
älter. In jungen Jahren, die sie im Schatten der Wamphyri verbracht hatten, waren sie hart geworden, und nun beseelte sie eine grimmige Absicht. Instinktiv schien Nestor diese Dinge zu wissen. Außerdem hatte er das Gefühl, dass er diese Männer kennen sollte, aber ihre Namen fielen ihm nicht ein. Sie rannten im Laufschritt zur Ostmauer, wo ihnen Mitstreiter auf dem hohen Laufgang zuwinkten und sie zur Eile antrieben.
Nestor folgte ihnen etwas langsamer und versuchte zu verstehen, was einer der Männer auf dem Laufgang ihnen zurief. In der stillen Nachtluft, die nur von den zaghaften, benommenen, zitternden Stimmen weiterer Überlebender und dem Prasseln und Knistern der Flammen erfüllt war, waren seine Worte klar und deutlich zu hören. Und obgleich es harte Worte waren, klang seine Stimme belegt, als unterdrücke er ein Schluchzen.
»Jetzt ist es zu spät, ihr Dummköpfe«, schrie er. »Habe ich nicht versucht, euch zu warnen? Das wisst ihr doch, oder! Und ihr habt mich für verrückt gehalten! Und jetzt ... glaube ich bald selbst, dass ich wahnsinnig bin! All die Jahre des Aufbaus, der Vorbereitung – in Rauch aufgegangen, verschwunden für nichts und wieder nichts. Und all das gute Szgany-Blut so sinnlos vergossen ...«
Endlich fiel Nestor wieder ein, wer der Mann war: Lardis Lidesci, den selbst die Wamphyri einst respektiert hatten. Und neben ihm stand Andrei Romani auf dem Laufgang. Gemeinsam hatten sie eine große Bolzenschleuder gespannt und einen gewaltigen Eisenholzbolzen mit einer silberbesetzten, mit Widerhaken versehenen Spitze in die Schussrinne auf dem massiven Rahmen eingelegt. Dafür brauchte es Kraft, aber die hatten sie.
Mit einem Mal erinnerte Nestor sich an die Namen der anderen, die rings um in her standen. Andrei Romanis Brüder Ion und Franci waren dabei, und der Kleine, Drahtige war der Eberjäger Kirk Lisescu. Sie und Lardis waren sagenhafte Kämpfer gewesen zu jener Zeit, als die Wamphyri ihre Jagdzüge auf die Sonnseite unternahmen und die Szgany in Angst und Schrecken versetzten. Kirk Lisescu hatte sogar eine Waffe aus jener Zeit bei sich, eine ›Schrotflinte‹ aus einer anderen Welt. Aber Nestor wusste, dass es derartige Dinge, außer in Träumen, schon lange nicht mehr gab. Sie waren vorbei und vergangen. Oder etwa nicht?
Während er noch verdutzt darüber nachdachte, hatten sich die Männer der Ostmauer genähert. Oben auf dem Laufgang brüllte Lardis wieder los und deutete zum Himmel über Nestor! Ein Schatten fiel auf ihn und verfinsterte die Sterne.
Nestor sah zu dem einzelnen Flieger hoch, der hin und her seine Stemmkurven zog, dann verhielt und dabei an Höhe verlor. Einen Augenblick lang schien er wie ein Falke auf der Flügelkante zu verharren, ehe er den Kopf senkte, die Hautflügel anlegte und in einen lang gezogenen Sturzflug überging. Er schoss direkt auf den kummergepeinigten jungen Mann zu, der über seiner geschändeten Geliebten schluchzte. Der Reiter beugte sich tief über den Sattel, griff nach dem Hals der Kreatur und lenkte sie mit Stimme und Geist.
Plötzlich schnappte etwas in Nestors benebeltem Verstand ein. Denn falls dies ein Traum war, dann war er gründlich missraten. Und wenn es sein Traum war, sollte er doch wohl eine gewisse Kontrolle darüber ausüben können. Er torkelte wieder auf die mitgenommene Gestalt zu, die mitten auf dem offenen Platz über dem Mädchen kauerte, und schrie im Laufen eine Warnung: »Pass auf! Du da, pass auf! «
Der Mann blickte auf, sah, wie Nestor auf ihn zurannte und hinter ihm die anderen ihre Waffen in Anschlag brachten – offenbar auf ihn! Dann warf er einen Blick über die Schulter, sah das Wesen, das aus dem Himmel auf ihn herabstieß, keuchte ein wortloses Nein und rettete sich mit einem Hechtsprung in die Mulde einer leeren Feuerstelle. Als er aus dem Sichtfeld verschwand, zog der Flieger unschlüssig nach links und rechts, reckte dann den Hals und – flog geradewegs auf Nestor zu!
Nestor kam schlitternd zum Stehen und erkannte plötzlich, dass dies weit mehr war als nur ein Albtraum. Das war Wirklichkeit, die an Schwung gewann und mit jedem donnernden Herzschlag näher auf ihn einstürmte. Verzweifelt blickte er um sich, sah auf allen Seiten nur offenes Feld und nirgends eine Deckung. Hinter ihm brüllte jemand: »Runter!« Ein Armbrustbolzen zuckte über ihn hinweg. Dann ...
... war der Flieger über ihm, und die Unterseite seines Halses, dort, wo sie sich zum zerfurchten, flachen Bauch hin
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