DÄMONENHASS
starrte dem riesigen, keilförmigen Umriss, der sich schwarz vor den Sternen abzeichnete, mit offenem Mund nach. Er fragte sich, was dies zu bedeuten hatte.
Dann setzte er torkelnd seinen Weg fort. Den Kopf immer noch in den Nacken gelegt, den leeren Blick auf die fremdartige Gestalt gerichtet, lief er taumelnd durch den stinkenden Rauch und verstreuten Schutt, bis er stolperte und etwas Nasses, Warmes gegen seine zerrissene Hose spritzte.
Vor sich sah er den zerschmetterten Körper eines Mannes liegen, dem das Gesicht von den Schädelknochen gefetzt worden war. Aus der aufgerissenen Kehle sprudelte in kurzen Stößen ein dunkelroter Strahl. Doch noch während Nestor darüber nachsann, quoll der rote Strahl nur noch krampfhaft und unregelmäßig hervor, verlor an Kraft und versiegte schließlich gurgelnd. Mit ihm endete auch das Leben des Mannes.
Doch dies war nur ein Leichnam unter vielen. Als Nestor sich umblickte, sah er weitere Leiber, die nahezu alle völlig reglos dalagen.
So erreichte er den alten Versammlungsplatz, jenes weite, offene Feld, das nicht ganz in der Mitte von Siedeldorf und etwas näher zur Ost- als zur Westmauer hin lag. Dort entdeckte er innerhalb des allgegenwärtigen Todes noch Leben. Dies jedoch erst später.
Das Osttor brannte. Gelbe und orangefarbene Flammen loderten hoch über die Palisade. Offenbar war das Tor absichtlich angezündet worden. Der breite Weg, der vom Tor zum Versammlungsplatz führte, war von Leichen übersät. Nestor erinnerte sich undeutlich daran, dass hier zuvor eine Menschenmenge gestanden hatte. Doch obwohl die Leichen zahlreich waren, ergaben sie in ihrer Gesamtheit noch keine ›Menge‹. Also waren etliche entkommen. Doch wovor?
Wamphyri!, sagte eine Stimme in einem fernen Winkel seines Verstandes.
Eine andere sagte: Unmöglich! Es gibt keine mehr!
Und eine dritte, die ihm gehörte, sagte beharrlich: Aber ich bin der Lord Nestor!
Der Rauch klärte sich langsam und der von den Vampiren erzeugte Dunst löste sich allmählich auf und versickerte im Boden. Menschen kamen aus ihren Verstecken, stolperten
zwischen den Toten umher, schrien auf und rauften sich die Haare, wenn sie tote Freunde, Geliebte oder Verwandte fanden. Mitten auf dem Platz stand zwischen umgestürzten Tischen und den verstreuten, nun verdorbenen Überresten eines Festmahls ein junger Mann, der vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als Nestor sein mochte, über dem Körper seines Mädchens und riss sich das Hemd auf, schlug sich auf die Brust, schrie sein Leid heraus. Sie war ausgezogen worden, und ihr nackter Leib war von Schürfwunden übersät, zerschrammt, geschändet.
Nestor trat näher und starrte den Mann an. Er glaubte, ihn zu kennen ... von irgendwoher. Auf seiner Stirn zeigten sich Falten, als er sich fragte, wie es kam, dass er so vieles wusste und doch so wenig verstand. Dann sah er, wie die zerschundenen Brüste des Mädchens sich hoben und senkten, und bemerkte, dass ihre Hand sich leicht bewegte. Als ihr Kopf sich schlaff in Nestors Richtung drehte, sah er ein seltsam mattes Lächeln auf dem Gesicht der Schlafenden oder Bewusstlosen.
Er trat näher heran, berührte den schluchzenden Mann am Arm und sagte: »Sie ist nicht tot.«
Mit wildem Blick wandte der andere sich zu ihm um, packte ihn wütend und schüttelte ihn, als sei er eine Stoffpuppe. »Natürlich ist sie nicht tot, du Narr – du elender Narr! Sie ist schlimmer als tot.« Damit stieß er Nestor von sich und sank neben dem Mädchen in die Knie.
Nestor blieb verdutzt stehen und wiederholte die Worte des anderen: »Schlimmer als tot?«
Der Mann sah auf, musterte ihn aus rot geränderten Augen und nickte schließlich. »Ah, jetzt erkenne ich dich, Nestor Kiklu, schmutzig wie du bist. Aber du gehörst zu den Glücklichen, die zum Ende jener Zeit geboren wurden. Du bist zu jung, um es zu wissen. Du erinnerst dich nicht daran, wie es war, und erkennst daher nicht, wie es wieder sein wird. Aber ich erinnere mich, und das nur allzu gut! Ich war sechs Jahre alt, als die Wamphyri den Zufluchtsfelsen überfielen. Danach sah ich, wie mein Vater einen Pfahl durch das Herz meiner Mutter trieb, sah mit an, wie er ihr den Kopf abschnitt und sie den Flammen übergab. So war es damals ... und so muss es jetzt wieder sein.« Er ließ den Kopf hängen, warf sich schluchzend über das Mädchen und umklammerte ihren nackten Leib.
Auf dem Platz war eine Handvoll weiterer Männer aufgetaucht, aber sie waren anders – härter,
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