DÄMONENHASS
haben blutige Arbeit zu verrichten ...«
Dann war keine Zeit mehr zum Reden, denn Andrei hatte die Decke von dem nächsten Verwundeten gehoben und winkte heftig. Lardis ging zu ihm hin und sah in die Richtung, in die Andrei zeigte. Der Mann unter der Decke war in den Hals gebissen worden, weit auseinanderliegende Einstiche waren über dicken, blauen Arterien verschorft. Er hatte keinen Atem mehr, auch keinen Puls, und lag ganz still.
Nathan wich einige Schritte zurück und beobachtete das Geschehen. Er musste alles lernen, was es über diese Dinge zu wissen gab, denn das war kein Spiel mehr, das er, Nestor und Misha in den Wäldern spielten.
Die Wamphyri waren Wirklichkeit, ebenso wie das Grauen, das sie brachten.
Lardis riss einen Schmuckknopf aus seinem Ärmelaufschlag, öffnete der Leiche die kalten, grauen Finger der linken Hand und schloss sie um ein kleines Silberglöckchen, das er in die Handfläche drückte. Dann trat er zurück und wartete. Nach kurzer Zeit ...
... stöhnte der ›Tote‹ auf (Lardis war sich ziemlich sicher gewesen, dass er untot war, musste ihn aber trotzdem überprüfen) und erbebte unter einem Schauer, der seinen ganzen Körper schüttelte. Seine Augenlider flatterten, blieben aber gnädigerweise geschlossen. Er war noch nicht zum Erwachen bereit, doch selbst in der Bewusstlosigkeit beschützte das Gift in ihm den Parasiten, der in ihm steckte. Seine Hand zitterte auf den Tischbrettern, öffnete sich und schleuderte in der Zitterbewegung das Silberglöckchen beiseite. Schließlich seufzte er auf und lag wieder still. Lardis nickte entschlossen.
Mit angespannten Gesichtern traten die Henker vor, und Nathan sah, was Lardis mit ›blutiger Arbeit‹ gemeint hatte. Er zwang sich dazu, bei dieser einen Hinrichtung, nur dieser einen, zuzusehen, und ihm wurde übel. Es übertraf die schlimmsten Albträume seiner Kindheit und alles, was er je an Lagerfeuergeschichten gehört hatte.
Hagere Gestalten huschten durch die Nacht und trugen in Decken gehüllte Leichen davon, während Lardis Lidesci sich als Schiedsherr über Leben und Tod erwies. Und vor dem unwirklichen Hintergrund des rötlichen, rauchgeschwängerten Feuerscheins und dem entsetzlichen Geruch nach verbranntem Fleisch wurde Nathan endlich von seinen tief sitzenden geistigen Fesseln befreit, wurde zu einem Szgany-Mann der Sonnseite und ließ die abgeschüttelte Larve seiner sonderbaren Außerweltlichkeit hinter sich.
Zumindest die Hülle.
Aber ein Mensch besteht aus mehr als nur Fleisch und Blut. Solange er bei Bewusstsein ist, kann ein Mensch seinen Körper und zu einem großen Teil auch seine Gedanken beherrschen. Doch wenn er schläft ...? Gehören seine Gedanken dann noch ganz ihm selbst?
Als er noch klein war, hatte Nathan manchmal seine Mutter gefragt: »Warum reden die Wölfe mit mir, wenn ich schlafe? Warum höre ich all die Toten flüstern?« Dann schien sie sich in sich zurückzuziehen wie die Blumen bei Sonnunter, und ein unruhiger Blick erfüllte ihre Augen. Sie hieß ihn dann still sein und sagte ihm, dass man so etwas nicht fragte, denn diese Fragen seien sonderbar und die Leute würden sie nicht mögen oder verstehen.
Das waren nur einige der seltsamen Fragen, die Nathan nicht zu stellen gelernt hatte, bis er überhaupt kaum noch etwas fragte und lieber schwieg. Selbst in seinen Träumen hatte er gelernt, meist zu schweigen. Aber das war damals gewesen, in seiner Kindheit.
Und dies war das Heute, und er war ein Mann ...
Lardis hatte Nathan fortgeschickt, um sich ein warmes Plätzchen zu suchen und zu schlafen. Aber er konnte nicht schlafen. Es hätte Nathan nicht überrascht, wenn er nie wieder geschlafen hätte. Stattdessen wandte er sich von Lardis’ und Andreis ›blutiger Arbeit‹ ab – von dem, was auf dem großen Tisch geschah, von der ungeheuerlichen, jedoch notwendigen Untersuchung der Toten und Untoten durch die Lebenden, solange diese noch lebten – und ließ sich im Schneidersitz am Fuß des Kreuzes nieder, an dem der Wamphyri-Offizier an seinen silbernen Nägeln hing.
Jemand brachte Nathan seine Kleidung, und er kleidete sich gedankenlos, fast unwillkürlich an, setzte sich dann wieder erschauernd mit der Decke um die Schultern hin und wartete darauf, dass der Offizier das Bewusstsein wiedererlangte. Denn Lardis hatte vor, diese Kreatur zu befragen, diesen Mann oder einstigen Mann, und ganz gleich, welch grausame Methoden der alte Lidesci anwenden würde, Nathan wollte mit eigenen Ohren
Weitere Kostenlose Bücher