DÄMONENHASS
die Antwort bereits, ehe er die Frage vollendet hatte.
»Nun, wo schon?«, hatte Jasef gesagt und den Kopf zur Seite geneigt.
Natürlich am Grab seiner Mutter ...
Nana und Jasef hatten die oberste Treppenflucht erreicht. Der alte Mann atmete schwer und keuchte an den steilen Stellen und stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf Nana. Es musste sich um etwas Wichtiges handeln. »Ihr hättet einen Läufer schicken sollen«, rief Lardis hinab. »Ich wäre zu euch gekommen.«
Einen Läufer – selbst diese einfachen Worte beschworen Bilder herauf.
Bilder von einem Mond, der durch den Himmel über Sternseite jagte, und von grauen Gestalten, die wie Quecksilber durch die Nacht liefen, deren Umrisse zur Nacht selbst zu gehören schienen. Man konnte sie nie ganz sehen – nur als graue Schemen am Rande des Sichtfelds. Sie verschmolzen mit den Kämmen und Klüften, mit den Schatten schwarzer, regloser Bäume. Im unnatürlichen Dämmerlicht des Gartens hatten ihre dreieckigen Augen geleuchtet.
Denn Lardis hatte seine Pflicht selbstverständlich gekannt und sich trotz seiner Furcht dorthin begeben, war den hohen Pass hinaufgestiegen und zum Garten gegangen, um sich mit Harry Wolfsohn beim Grab der ›Sanftmütigen Unter Den Steinen‹ zu treffen. Sicher, er war weder allein gegangen noch unbewaffnet; fünf seiner besten Männer hatten ihn begleitet, und er hatte seine Schrotflinte und eine Kiste mit Silberpatronen aus der Waffenkammer des Herrn bei sich getragen. Nicht dass Lardis Harry Wolfsohn nicht traute: Seinerzeit hatte er ihm vertraut, ihn beinahe verehrt und tat es immer noch – bis zu einem gewissen Punkt. Aber man hörte so einiges über ihn. Jäger, die an den Abendhängen der Sonnseite gejagt hatten und spät nach Siedeldorf, Mirlu oder Tireni-Hang zurückgekehrt waren, hatten ihn mit dem Rudel laufen sehen. Und er hatte nach Kräften in ihr Geheul eingestimmt!
Sie hatten jedoch eine Vereinbarung, und kein Szgany aus den westlichen Siedlungen würde je auf einen Gebirgswolf schießen. Doch um vollkommen sicherzugehen, dass sie nicht in Versuchung gerieten, hatte Lardis seine Männer am Eingang des Gartens zurückgelassen, wo der Pass zur Sonnseite hinabführte. Dann hatte er seinen Weg zum Treffen am Grab der Mutter des Herrn allein fortgesetzt. Nur war es nicht der Tiermensch gewesen, dem Lardis im nunmehr verwüsteten Garten begegnet war. Nicht ihm, sondern seinem Vater, dem Necroscopen Harry Keogh, der endlich aus einer anderen Welt zurückgekehrt war.
Lardis erinnerte sich noch genau an die ersten Augenblicke dieser Begegnung. Zunächst war der Garten leer gewesen, dann hatte dort, wo eben noch nichts gewesen war, plötzlich die hochgewachsene Gestalt des Höllenländers gestanden, allein, mit hängenden Schultern, verloren. Lardis hatte sogleich erkannt, um wen es sich handeln musste, denn kein anderer konnte auf diese Weise kommen oder gehen. Und er hatte sich gefragt: Ist es das, was der Herr mich wissen lassen wollte, dass sein Vater ins Grenzgebirge zurückgekehrt ist?
Doch als Lardis nähergetreten war, hatte Harry sich aufgerichtet, sich umgewandt und ihn gesehen. Im gleichen Augenblick hatte Lardis erkannt, dass der Herr nicht der Einzige war, der eine Veränderung durchlaufen hatte.
Harrys Gesicht war grau und hager und die Augen blutrot. Wamphyri!
Was den Rest dieses Zusammentreffens anging – was sie getan und gesprochen hatten, war so gut wie vergessen. Lardis hatte nur noch weggewollt. Vielleicht hatte er vom Schicksal des Herrn gesprochen, vielleicht auch von seinen Befürchtungen bezüglich einer Gefahr aus den Eislanden. Vielleicht hatten sie über Lady Brenda gesprochen und über das Steingrab, unter dem sie begraben lag; dabei hatte im Blick des Necroscopen womöglich nicht nur Blut gelegen. An eines erinnerte sich Lardis noch deutlich – und er würde sich immer dafür schämen: Er hatte seine Waffe abgefeuert – hatte nicht getroffen, und der Höllenländer hätte ihn so leicht töten können ... und hatte es doch nicht getan.
Später hatten sie schweigend nebeneinander an Brendas Grab gestanden. Doch als Harry sich nach den Wanderern erkundigte, war Lardis sofort misstrauisch geworden. Die Absichten des anderen bereiteten ihm Sorgen, und er hatte gefragt: »Wirst du also auf der Sonnseite jagen, Harry – Männer, Frauen und Kinder – im Dunkel der Nacht?«
»Jagt mein Sohn die Szgany?«, gab Harry zur Antwort. »Hat er das je getan?«
Doch da war die Stimmung bereits so
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