DÄMONENHASS
sich selbst verweigerte. So wollte er es haben, und so ließ er es geschehen.
In ihm war keine Bitterkeit. Er hatte auch nicht das Gefühl, dass er aufgab, nur dass er nie richtig angefangen und daher mit Ausnahme seines Lebens nichts zu beenden hatte. Vielleicht war dies nicht einmal das Ende. Denn wenn jemand wusste, dass der Tod nur ein weiterer Anfang war, dann war es Nathan. Und wenn sein Körper tot war, würden vielleicht all diejenigen, die vor ihm gegangen waren, endlich mit ihm sprechen und ihm die Dinge erklären, die er zu Lebzeiten nie verstanden hatte.
Würde er dann mit seiner Mutter sprechen können, fragte er sich, und mit all den anderen, die er verloren hatte? Und wenn er immer noch weder Frieden noch einen Daseinszweck fand, gab es dann jenseits davon weitere Welten?
Die letzte ausgedörrte Grassode lag schon weit hinter ihm, als die Sterne allmählich verblassten und das erste Licht sich am Horizont zeigte. Er hielt genau darauf zu. Unter seinen Füßen wurde der steinige Boden zu Sand. Die Sonne hob sich über den wabernden Horizont, aber Nathan wandte den Blick ab und setzte seine Wanderung nach Süden fort. Bald war ihm warm, dann heiß, schließlich begann er zu schwitzen. Es bedeutete ihm nichts und war nur ein weiteres Unbehagen, doch davon hatte er genug erlebt. Wenigstens war dies seine letzte Misslichkeit.
Er erreichte eine Klippenkette aus Sandstein, die steil aus der Wüste ragte, und warf endlich einen Blick zurück. Er sah nichts außer Sand – oder vielleicht weit in der Ferne eine dunkle, unregelmäßige Linie am wabernden Rand der Welt, wo ein blendendes Blau sich mit gleißendem Gelb vereinte. Das Grenzgebirge? Schon möglich. Doch im Augenblick hatte Nathan seine eigene Grenzbarriere zu überwinden. Und danach die größte Grenze von allen ...
Die Sandsteinklippen waren glatt und hoch. Nathan konnte sie nicht erklettern, also musste er sie umgehen, um weiter der Sonne und seinem unausweichlichen Ende entgegengehen zu können. Er wandte sich nach Osten, hielt sich eine Meile im kühlen Schatten der Steilklippen und gelangte an eine Lücke, an der eine große Schlucht die Klippen zerteilte. Vielleicht fand er an ihrem Ende eine Möglichkeit, die Felsen zu erklimmen. Er betrat die Schlucht und folgte ihrer Wand eine halbe Meile bis zu ihrem Ende, beschrieb dann einen Halbkreis und gelangte schließlich wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück, allerdings auf der anderen Seite der Schlucht. Er hatte keinen Weg gefunden, die Felsen zu ersteigen, aber was machte das schon. Dieser Ort war genauso gut zum Sterben geeignet wie jeder andere auch.
Er war so hungrig und durstig wie nie zuvor in seinem Leben. Wenn er etwas zu essen gehabt hätte, hätte er es gegessen, wenn er Wasser gehabt hätte, dann hätte er es natürlich getrunken. Aber es gab weder das eine noch das andere. Und der Rückweg in die Wälder der Sternseite war ihm nun verwehrt, denn die Sonne würde ihn binnen einer Stunde versengen, ihn binnen zwei Stunden zu Boden schicken und ihn bis Mittag zu einem dürren Knochengestell verdorren lassen – was genau seinem Plan entsprach.
Nathan blieb im Schatten am Fuß der Klippe an der Ostwand der Schlucht stehen und sah sich um. In der ansonsten glatten, lotrechten Steilwand verlief ein schmaler Riss oder Sims bis zu einem Drittel der Höhe. Er beschirmte seine Augen und sah am Ende des Risses im Sandstein zahlreiche Höhleneingänge. Vielleicht war es eine natürliche Formation, die vor zwei-, drei- oder zehntausend Jahren vom Wasser in den Stein geschnitten worden war, als die Schlucht noch ein Wasserlauf gewesen war. Vielleicht waren die Höhlen auch von Menschen gegraben worden, als die Wüste sich noch etwas gastlicher gegeben hatte. Mittlerweile konnten sie nur noch Eidechsen und Skorpionen als Behausung dienen.
Nathans Gedankengänge waren weder neugierig noch bewusst im eigentlichen Sinne; sie waren lediglich das Ergebnis der normalen Tätigkeit seines Gehirns, das trotz seiner zahlreichen Traumata wie ehedem funktionierte. Denn auch als er über den Ursprung der Höhlen in der Wand nachsann und über ihre Bedeutung ›nachdachte‹, war es ihm eigentlich gleichgültig. Ob die Höhlen nun da waren oder nicht, änderte schließlich nichts an seinem Vorhaben.
Und dieses Vorhaben bestand schlicht und einfach darin, zu sterben.
Aber im Schatten begann Nathan nun zu frieren, und er wünschte im Warmen zu sterben. Stolpernd trat er aus dem Schatten der Klippe in die
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