DÄMONENHASS
verzichten«, sagte der Jüngste der fünf mit einer hohen Stimme, aus der Hochmut klang. »Schließlich bist du ein Szgany und kannst daher die
Sitten der Thyre nicht kennen.«
Ausgezeichnet!, sagte Rogei. Dieser Mann glaubt, dass er alles wüsste
– eine häufige Schwäche der Jungen. Also musst du ihm seinen Irrtum beweisen. Neige den Kopf zweimal vor ihm, dann dreimal – aber langsamer – vor dem Allerältesten.
Nathan tat wie von Rogei geheißen, und die Thyre, einschließlich Atwei, richteten sich überrascht auf. Dann wandten die fünf die Köpfe und sahen sie an, bis sie mit rauer Stimme protestierte: »Nein, ich habe ihn nicht unterwiesen!« Auf diese Weise hatte Nathan sich ihrer Aufmerksamkeit versichert, ohne ein einziges Wort zu sagen. Darüber hinaus hatte er sich aber offenbar auch die Feindschaft ihres Sprechers zugezogen.
»Also«, sagte dieser und verzog das Gesicht, »ist deine Telepathie nicht so unausgereift, wie wir dachten, denn ganz offensichtlich hast du diese Grußform aus meinem Geist gestohlen. Mehr noch, ich habe den Diebstahl nicht einmal bemerkt! Dennoch waren in deinem Fieber diese unsauberen Künste bei dir nicht zu erkennen. Das lässt auf eine von Natur aus durchtriebene Denkungsart schließen.«
Rogei hatte eine rasche Erwiderung parat. Weise darauf hin, dass ein Mann, selbst ein Ältester, der voreilige Schlüsse zieht, um eine abwegige Behauptung aufzustellen, sich sehr wohl selbst täuschen mag!
Nathan gehorchte und fügte hinzu: »Jemand, der den Geist eines Fiebernden untersucht, läuft Gefahr, Gespenster zu entdecken.«
An dieser Stelle ergriff der Allerälteste persönlich das Wort. Mit einer Stimme, die knarrte wie der Ast eines vom Wind gebeugten alten Baumes, fragte er: »Und wie viele Gespenster hausen in deinem Geist, Nathan von den Szgany?«
Sehr viele, raunte Rogei ihm ins Ohr und sprach Nathan Wort für Wort vor. Einige davon sind die Gespenster meiner Vergangenheit, die ich nach Belieben preisgeben oder für mich behalten kann. Aber da sind auch die Geister von hundert Uralten der Thyre, die gerne durch mich sprechen würden, um meine Unschuld zu beweisen – sollte der Allerälteste es wünschen.
Nathan wiederholte es.
»Das ist Lästerung!« Der Wortführer wollte aufspringen, aber der Allerälteste ergriff ihn am Arm und hielt ihn zurück. Der Wortführer warf einen Seitenblick auf den ehrwürdigen Alten, runzelte die Stirn und sagte: »Ganz offensichtlich ist er ein Nekromant! Er hat die Höhle der Uralten betreten, um unsere Toten zu schänden und ihnen durch Folter ihre Geheimnisse abzupressen!«
»Wenn das zutrifft«, sagte der Allerälteste und nickte geduldig, »werden seine Worte ihn umso mehr verdammen, je mehr wir ihn sprechen lassen. Bislang hat er zumindest in einer Beziehung recht: Einige sind nur allzu schnell bereit, voreilige Schlussfolgerungen zu ziehen! Er soll weitersprechen.« Und wieder richtete er den Blick seiner großen, sanften Augen auf Nathan.
Erzähle ihnen deine Geschichte in aller Kürze, sagte Rogei, während ich sie durch deine Augen betrachte.
Nathan ging darauf ein. »Die Wamphyri sind zur Sternseite zurückgekehrt und in den letzten Horst eingezogen. Sie haben Siedeldorf überfallen, meine Heimat im Westen der Sonnseite. Während des Überfalls wurden meine Mutter und ... ein Szgany-Mädchen geraubt, und mein Bruder verschwand. Ich suchte nach ihm und folgte seiner Spur nach Osten, wo ich eine Gruppe von Wanderern traf und den Entschluss fasste, mich ihnen anzuschließen. Doch zuerst musste ich ein letztes Mal versuchen, meinen Bruder zu finden. Als ich schließlich erfuhr, dass er tot war, folgte ich der Fährte meiner Wanderer-Freunde zu ihrem Lager am Rande des Graslands und musste feststellen, dass sie ...« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. »Sie waren nicht mehr am Leben. Die Wamphyri ...« Er senkte einen Augenblick lang den Kopf, um die Erinnerung an diese sehr realen Gespenster zu unterdrücken. Dann sah er auf.
»In dieser Welt war mir alles genommen worden, und ich wollte nicht länger leben. Doch da fiel mir ein, wie ich früher den Toten gelauscht hatte, die in ihren Gräbern flüstern – eine seltsame Gabe, wie ich wohl weiß, und eine, die ich verborgen hielt – und ich dachte, dass ich mich ihnen im Tod anschließen könnte. Vielleicht könnte ich dann wieder mit meiner Mutter sprechen, mit meinem Bruder, meinem Mädchen. Unter den Sternen wanderte ich durch das Grasland, erreichte die
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