DÄMONENHASS
verabschiedete er sich ...
TEIL SIEBEN: NESTOR
ERSTES KAPITEL
Ausgestattet mit neuer Kleidung, einem festen Ledergürtel und einem Messer aus poliertem Eisenholz mit Knochengriff, war Nathan nunmehr reisefertig. Er wollte flussabwärts in östliche Richtung wandern, denn der Weg nach Westen hätte ihn zu nahe an seinen Heimatort gebracht oder zu dem, was einst sein Heimatort gewesen war. Wenn er auch nur die ungefähre Richtung einschlug, würde es ihm sehr schwer fallen, dem Lockruf von Siedeldorf zu widerstehen, und ihm graute vor dem Gedanken an das, was er dort vorfinden würde.
Atwei geleitete ihn auf dem ersten Wegstück seiner Reise. Sie ging ihm mit langen Schritten über die eingegrabenen Felsufer des Großen Finsterflusses voraus. Angeblich zog er aus, um weitere Kolonien der Thyre zu besuchen und mit ihren Ältesten und ihren Toten zu sprechen, aber an der Sache war sehr viel mehr dran. Seine Totensprache hatte sich bei den Thyre voll ausgebildet, und seine telepathischen Fähigkeiten waren zwar noch unausgereift, zeigten aber – zumindest laut Atwei und einigen anderen aus ihrem Volk – vielversprechende Ansätze. Entsprechend war sein Selbstvertrauen gestiegen. Zwar musste die Vergangenheit ihm noch als verbotene Einöde erscheinen, aber offenbar hielt die Zukunft möglicherweise so etwas wie ein erfülltes Leben für ihn bereit. Er musste vieles lernen und mit vielen Menschen sprechen, und ob letztere nun den Lebenden oder den Toten zuzurechnen waren ... Nun, das war ihm mittlerweile einerlei.
Nathans neue Kleidung war recht bemerkenswert. Sie war grundsätzlich im Szgany-Stil, allerdings aus weichem sandfarbenem Eidechsenleder gefertigt, doch war der Schnitt ganz und gar Thyre, die Verarbeitung von hoher Qualität, und die Sachen passten ihm wie angegossen. Kurz gesagt hatten die Thyre von der Stätte-unter-den-gelben-Klippen Nathan von Kopf bis Fuß wie eine Person von herausragenden Eigenschaften gekleidet, was im Wesentlichen der Art und Weise entsprach, wie sie ihn sahen. Seine Fransenjacke hatte einen hohen Kragen und weite Aufschläge, die Hosenbeine waren ausgestellt, damit sie über die weichen Lederstiefel passten, und seine silberne Gürtelschnalle wies schnörkelige Verzierungen auf, passend zum Schmuckwerk an seiner neuen Messerscheide.
Alles in allem verlieh ihm seine Kleidung in Verbindung mit seinen verblüffend blauen Augen und seinem auf Schulterlänge gewachsenen blonden Haar – Farben, die bei den Szgany schon fremdartig und bei den Thyre ganz und gar unmöglich waren – ein mystisches, wenn nicht gar fremdartiges Aussehen, das seiner Stellung durchaus entsprach. Für ihn bestand die einzige Ironie allerdings darin, dass er, der so viel für die Thyre getan und ihnen große Achtung abgerungen hatte, nicht über die Machtmittel verfügte, etwas für sein eigenes Volk zu tun. Aber er hatte es nicht vergessen, und vielleicht blieb ihm noch Zeit dafür.
Zum ersten Mal in seinem Leben stellte Nathan etwas dar, wenngleich in einer Welt, die fernab lag von seinem vorigen, weitgehend inhaltslosen Dasein. Immer wieder fragte er sich wie unter einem Zwang: Was würden seine Leute, die Szgany Lidesci, jetzt von ihm halten? Wäre er immer noch ein Außenseiter, ein stammelnder Narr, oder hatte er diese Zeit für immer hinter sich gelassen? Und was war mit den Wanderern der Sonnseite, den Szgany in ihrer Gesamtheit – als Volk? Was waren sie dieser Tage für die Wamphyri?
Durch seine selbst auferlegte Verbannung war er von ihnen abgeschnitten und kannte die Antwort darauf nicht. Aber zweitausend Meilen weiter am Großen Finsterfluss duckten sich andere von seiner Art unter der Tyrannei der grotesken Wamphyri-Sklavenherren, und dort fand er vielleicht eine Antwort. Denn sie waren das – taumelndes Gesinde, Schlachtvieh, blutige Nahrung für die grässlichen Vampirherrscher –, was unweigerlich aus seinen Leuten werden musste! So grausig der Gedanke auch war, so eigenartig faszinierend fand Nathan ihn doch. Und je länger er darüber brütete, desto deutlicher sah er den gewundenen Weg vor sich, den seine Pflicht ihm vorzeichnete und der sehr den schwarzen Felswänden des mäandernden Flusses glich ...
Etwa alle halbe Meile hielt Atwei an und zeigte Nathan Vorratsnischen in den feuchten Wänden, in denen in Ölhäute eingewickelte Teerfackeln lagen. Die Fackeln brannten lange; sie übersprang immer zwei oder drei dieser Nischen, ehe sie ihre und Nathans Brandstöcke ersetzte. Auf
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