DÄMONENHASS
hatten sie Einfluss auf ihn; den würden sie immer haben. Oder ... steckte vielleicht doch mehr dahinter? Was, wenn sie nun doch am Leben waren, nicht als ungeheure Wechselbälger der Wamphyri, sondern als einfache Sklaven in Knechtschaft in irgendeinem Horst auf der Sternseite oder in einer schroffen Felsenburg? Und wenn dem so war, wie konnte er sie finden?
Und deshalb wanderte er im heller werdenden Licht der Sonnseite entgegen. Über ihm verblassten allmählich die Sterne, und vor ihm stieg langsam das Grenzgebirge wie ein Trugbild aus der Wüste empor. Seine Zukunft lag genau hier. Mit jeder verstreichenden Sekunde trug ihn der Strom der Zeit zu ihr, und da er sie nicht zu vermeiden vermochte, konnte er ihr genauso gut stracks entgegenschreiten. Und irgendwo auf seinem Weg wartete arglos und unwissend Iozel Kotys auf ihn – was sich als Ausgangspunkt genauso gut eignete wie jeder andere ...
In Nathans Kinderjahren hatten die Szgany der Sonnseite es vorgezogen, sich nicht allzu weit von den Bergen zu entfernen. Die meisten Routen der Wanderer führten durchs Vorbergland und schweiften nur selten in die Wälder hinein. Dafür gab es mehrere Gründe: Die sich an den Gipfeln abregnenden Wolken lieferten gutes Wasser, an den Hängen gab es reichlich Wild und daher ausgezeichnete Jagdmöglichkeiten, am Fuß der Berge boten die Felsen Verstecke im Überfluss, und es gab ausgedehnte Höhlensysteme.
Hier lagen die Dinge jedoch anders. Zwar waren diese Menschen des Ostens Szgany, zumindest entstammten sie dem gleichen Grundstock, aber sie waren keine Wanderer. Sie waren es vielleicht – geradezu mit Sicherheit – einst gewesen, aber nun nicht mehr. Dieser Tage lebten sie unter der allumfassenden Oberherrschaft der Wamphyri in elenden Dorfsiedlungen (die im Wesentlichen nichts anderes waren als Pferche und Stallungen) und wanderten nicht mehr. Auf der Sonnseite, die Nathan kannte, waren seine Leute zu Wanderern geworden, um den Vampiren aus dem Weg zu gehen und ihnen so zu trotzen; sie waren erst sesshaft geworden, nachdem sie die Wamphyri vernichtet glaubten. Hier jedoch siedelten sich die Menschen an, weil die Wamphyri es ihnen befahlen, und dies bezeichnete den Beginn des berüchtigten und seit ewigen Zeiten bestehenden Tributsystems. Daher lagen ihre Städtchen weit offen und in unregelmäßigen Abständen voneinander wie Marktplätze, zu denen die Lords und Ladys der Sternseite in regelmäßigen und althergebrachten Abständen ihre Offiziere aussandten, um die Vorräte ihrer Burgen und Stätten aufzufüllen. Im Unterschied zu einem Markt ›erwarben‹ die Wamphyri allerdings nichts, sondern nahmen sich, was sie mit dem Recht des Eroberers als ihr Eigentum ansahen. Das lief auf einen Anteil an allem hinaus, von Getreide und Öl zu Tieren und Blut – hauptsächlich jedoch auf Blut menschlicher Herkunft.
Nördlich des Graslandes lagen am Waldrand zwölf von etwa fünfzig Siedlungen in annähernd gleicher Entfernung zueinander. Davon lagen vier im Westen und weitere acht in Richtung des ausgedehnten Sumpflandes hinter der bewohnbaren Region im Osten. Laut Schätzung der Thyre betrug die Entfernung zwischen der Großen Roten Wüste und dem Sumpf mehr als sechshundert Meilen. Daher konnte Nathan sich glücklich preisen, dass die erste der vier Siedlungen im Westen, ein Ort, der nach seinem Gründer Vladisstadt genannt wurde, der Heimatort und letzte bekannte Wohnsitz des Iozel Kotys war.
Angetan mit seinen guten Sachen und mit den warmen Sonnenstrahlen auf dem Rücken ließ Nathan die Wüste hinter sich und durchquerte die Savanne. Dabei bemerkte er, dass sich am Waldrand die trägen graublauen Rauchschwaden von morgendlichen Kochfeuerstätten in die Höhe schraubten. Er lenkte seine Schritte etwas nach links und hielt auf die nächste Hausansammlung zu, wo in den Wald eine Lichtung gerodet worden war.
Der erste Mann, dem er begegnete, hielt sich im Grasland dicht am Waldrand auf; er machte mit einer Armbrust Jagd auf Kaninchen. Nathan hörte das trügerisch leise Surren eines Bolzens und duckte sich. Dann sah er, wie ein Kaninchen krampfhaft in die Luft sprang und tot ins Gras fiel. Dann ... sah er den Mann mit der Armbrust, der sich aus seiner knienden Haltung hinter einem Ginsterbusch aufrichtete, und gleich darauf erblickte der Jäger ihn. Zuerst starrten sie sich über eine Entfernung von nicht mehr als einem Dutzend Schritten wie erstarrt an. Dann klappte dem Jäger der Unterkiefer herunter und er
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