DÄMONENHASS
erbleichte.
Nathan trat furchtlos näher. Schließlich war der Mann ein Szgany, und die Thyre hatten ihm berichtet, dass diese Leute zwar nicht vertrauenswürdig waren, aber dass man sich zumindest darauf verlassen konnte, dass sie ihm nicht das Leben nehmen würden. Nein, dafür war er viel zu wertvoll. Vielleicht verschenkten sie sein Leben – an die Wamphyri im Tausch gegen ihre zweifelhaften Gunstbeweise –, aber sie würden nie wagen, es ihm selbst zu nehmen. Außerdem war Nathan, von seinem Eisenholzmesser abgesehen, unbewaffnet und stellte somit keine offensichtliche Gefahr dar. Wenn man allerdings die Reaktion des anderen in Betracht zog, konnte man leicht auf den Gedanken kommen, dass er sogar eine außergewöhnliche Gefahr für Leib und Leben darstellte!
Der Mann ließ seine Waffe fallen, sank wieder auf die Knie und zitterte wie ein nacktes Kind im warmen, hellen Licht der Morgensonne. Er krächzte geradezu gleichzeitig einen unverständlichen Gruß, eine Entschuldigung und eine Frage hervor. Er verwendete die Sprache der Szgany, aber der Akzent war schwer verständlich. Nathan runzelte die Stirn, sah dem anderen in die Augen ... und plötzlich gewannen die Worte des Mannes sowie ihre Bedeutung an Klarheit. Doch selbst mit der Unterstützung seiner noch unausgereiften Telepathie empfand Nathan die Gedanken seines Gegenübers als unartikuliertes Durcheinander, ganz zu schweigen von seiner Rede:
»Morgen!«, japste der andere. »Du bist zu früh ... Der Tribut findet erst bei Sonnunter statt! Ich meine ... Warum bist du hier? Nein, nein«, er wedelte mit den Händen, »das geht mich ja gar nichts an! Vergib mir, Lord, ich flehe dich an! Ich bin ein Narr, der überrascht wurde, dessen Worte ganz unbeholfen sind. Aber ... die Sonne! Komm, suche Schutz im Wald! Verbirg dich im Schatten!«
Jetzt war alles klar. Der Mann hielt Nathan für einen Wamphyri, zumindest für einen Offizier! Wenn er sich mit dem anderen verglich, konnte er schon erkennen, wie leicht es zu diesem Irrtum hatte kommen können: Er war in feines Leder gekleidet, hatte gelbe Haare und seltsame Augen, und vor allem war seine Haut fahlweiß und mochte gegen das Licht des Morgens sehr wohl grau wirken. Er musterte den Jäger.
Der Mann war mit Gewissheit ein Szgany, glich aber keinem der Wanderer, die Nathan je erblickt hatte. Wo war sein Stolz auf sich selbst? Wo überhaupt irgendeine Art von Stolz? Er war vielleicht siebenundzwanzig oder achtundzwanzig Jahre alt, schmutzig, zerlumpt und unterwürfig. Seine Haare waren verfilzt und wimmelten vor Läusen, und auf Gesicht und Händen hatte er offene Geschwüre. Selbst der verwildertste alte Einzelgänger der Alten Sonnseite achtete besser auf sich als dieser Mensch! Vielleicht war er ein Idiot; aber wenn es sich so verhielt: Warum vertraute man ihm dann eine Armbrust an? Gewiss wusste er, wie er damit umzugehen hatte.
»Steh auf«, befahl Nathan ihm und schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Wamphyri.«
»Du bist kein ...?« Der andere runzelte verdutzt die Stirn. Dann verengte er die Augen, in denen Misstrauen zu funkeln begann. »Aber du bist ihr Eigentum.«
»Ich bin niemandes Eigentum«, sagte Nathan und trat näher. »Ich bin mein eigener freier Herr, und du hast nichts von mir zu befürchten.« Er wollte den Mann an der Schulter packen und ihn auf die Beine ziehen. Aber der andere wich mit allen Anzeichen des Entsetzens auf allen vieren vor ihm zurück.
»Dein eigener Herr«, plapperte er. »Ja, ja, selbstverständlich bist du das! Und ich bin ein Narr, der zu viel redet und zu viel fragt, da du doch derjenige bist, der Fragen stellen sollte, und ich sollte die Antworten liefern!«
Nathan war vor Widerwillen ganz übel. Vielleicht war dieses Wesen doch der Dorftrottel. Aber seine Worte hatten ihn zumindest auf einen Gedanken gebracht. »Du hast recht«, sagte er und nickte. »Genau das brauche ich: ein wenig Schatten und einige Antworten.«
»Dann frage nur getrost!«, rief der andere aus, richtete sich in eine gebückte Haltung auf und wich rücklings zum Wald zurück. Seine Armbrust ließ er unbeachtet liegen. »Frage, was immer du fragen willst, Lord. Und wenn ich antworten kann, werde ich antworten, ganz sicher!«
Nathan nahm die Waffe auf, lud sie mit dem zweiten Bolzen unter dem Schaft und legte die Sicherung vor. Doch sofort stöhnte der andere Mann auf und hob die bebenden Hände, als wolle er einen Schuss abwehren. Nathan blickte erst ihn an, dann sah er auf die
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