DÄMONENHASS
meiner Existenz als totes, zerfallendes Wesen im Felsgestein?
Trotz der instinktiv in ihm aufwallenden Vorsicht war Nathan doch neugierig. »Wo bist du genau?«
Wo ich seit einhundert Jahren hauste, wo verräterische Söhne mich blendeten und begruben, wo ich auch jetzt allmählich zu Stein erstarre, um mit den Steinen von Turgosheim eins zu werden. Einst war Irrenstatt mein Heim. Jetzt ist es nur noch meine Gruft ...
Irrenstatt? Von einer Irrenstatt wusste Nathan nichts.
Oh nein!, sagte das Wesen eifrig. Auch wenn Maglore und ich Nachbarn waren, kannst du die Irrenstatt von seinen Fenstern aus doch nicht erblicken. Denn er lebte über mir und ich unter ihm.
»In Turgosheims unteren Bereichen?«
Merke auf!, sagte der andere. Du weißt, dass Runenstatt einem Turm gleicht, ein hohler Felsaufsprung ist, der vom Rand des Abgrunds in die Höhe ragt? Nun, seine Säule reicht tief hinab in die Wurzeln von Turgosheim selbst. Die oberen Bereiche gehören Maglore, aber darunter ... liegt Irrenstatt! Du musst mich eines Tages besuchen. Maglore kennt den Weg. Eine alte Wendeltreppe, die rundherum führt und immer tiefer und tiefer hinab. Einst teilten wir uns dieselben Quellen ... Die Stimme des anderen war zu einem verlockenden, verschleiernden, schmeichlerischen, scheußlichen Gurgeln geworden. Sie war überwältigend, geradezu hypnotisch ...
Doch selbst im Traum spürte Nathan die Gefahr, in der er schwebte. »Nun gut«, sagte er und stieß den Gestank der geistigen Befleckung von sich. »Also weiß ich jetzt, wo du bist. Aber ich weiß immer noch nicht, wer du warst. Hattest du auch einen Namen?«
Einen Namen? Oh ja, in der Tat! Die ölige, giftige Stimme war noch grässlicher geworden und glich nun der Beschwörung eines undenkbaren Grauens, das bebend zu einem Leben über das Grab hinaus erwachte. Seinerzeit war mein Name wohl gefürchtet, sogar unter den Wamphyri. Ich war Eygor Todesblick, dessen Augen allein die Werkzeuge des Todes waren – was auch der Grund war, weswegen meine verkommenen Blutzwillingssöhne mich blendeten und vernichteten! Deshalb flohen sie letztlich auch; denn sie wussten, dass ich noch hier lag, und sie fürchteten sich vor den Träumen, die ich ihnen sandte, um sie auf ewig zu plagen. Na, nun sind die Hunde verschwunden und haben sich sogar aus der Reichweite meiner Träume entfernt. Aber eines Tages werden sie zurückkehren, und ich werde immer noch hier sein und sie erwarten ...
Ein wenig von Eygors Einsamkeit und Hilflosigkeit – aber weit mehr noch von seiner Verbitterung, seinem Hass und der Vergeblichkeit seiner Bemühungen – berührte Nathans metaphysisches Bewusstsein, blieb daran haften und brannte wie heiße Tränen oder vielleicht auch wie Säure.
Im Augenblick seines Gefühlsausbruchs war das alte Ding in seiner seit Langem vergessenen Gruft zu mehr geworden als nur zu einem körperlosen Geist. Nun war es wahrlich eine eigenständige Wesenheit, und Nathan ergriff die Gelegenheit, einen Blick auf das Lebensende des vormaligen Herrn von Irrenstatt zu werfen.
Der andere spürte Nathans geistiges Herannahen. Oh ja, komm zu mir, sagte er. Zuerst in Träumen und dann leibhaftig. Hier bin ich, hier – in der Dunkelheit, der Feuchtigkeit, der Düsternis meines Verlieses, wo ich im Schlamm von Irrenstatt starb ...
Nathan konnte etwas erkennen, aber nur undeutlich. Er stand in dem düsteren Gewölbe einer gewaltigen, hohen Höhle, von deren Wänden Schleim und Salpeter tropften. Der Boden war mit unnatürlichem Unrat bedeckt – gewölbt, faserig, schmierig. Überall leuchteten schwammige Knochen und weißlich schimmernde Knorpelstränge, als sei hier irgendein Ungeheuer verendet. Dies war eine vampirische Müllgrube, verseucht, vergessen und auf ewig versiegelt. Aber nicht alles hier war faulender Abfall. Oder vielleicht doch – nunmehr.
Etwas lehnte oder kauerte an einer Wand. Zuerst hielt Nathan es für eine seltsame Stalagmitenformation, eine fantastische Tropfsteinschöpfung der Natur. Er sah jedoch, dass die Form viel zu unregelmäßig war und die Oberfläche dunkler als der salzige, salpetergestreifte Stein. Von einer morbiden Faszination angezogen, setzte er sein Traum-Selbst in Bewegung und glitt näher, bis das Ding über ihm aufragte und nun an der Krümmung der Höhlenwand zu haften schien. Als Nathans Blickwinkel sich veränderte, wurden Einzelheiten deutlicher, und er erkannte, worum es sich handelte.
Es war ... eine monströse Chimäre, ein Schmelzprodukt aus
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