DÄMONENHASS
allem, was krankhaft und entsetzlich war. Das Ding ähnelte Maglores Wächter-Wesen in der verhangenen Nische unter der zentralen Wendeltreppe im großen Saal von Runenstatt insofern, dass es menschenähnlich war. Aber die Kreatur des Seher-Lords war keine achtzehn Fuß groß und bestand nicht aus Knochen, verschmolzen mit schwarzem, vertrocknetem Fleisch, runden Knorpelknoten und einem Panzer aus blau schimmerndem Chitin. Außerdem verfügte Maglores Wächter nicht über zusätzliche Münder in seinem aufgeblähten Leib und den gummiartigen Gliedern!
Nathans Traum-Selbst wich einen Schritt zurück. Mit fieberndem Blick musterte er die Größe, die Gestalt und den krankhaften Entwurf dieses Wesens, das in kniender Haltung an der Wand kauerte. Die verhornten, verschrumpelten Füße und die runzeligen, ledrigen Schenkel, der gekrümmte Rücken und die Schultern und der missgestaltete, durch den Salpeterfluss an der Wand klebende Schädel, dessen klaffendes Maul auf ewig zu einem stummen Schrei aufgerissen war. Ein verdorrter Arm ruhte auf einem Felssims; er endete in einer Klaue, die von einem Gelenk hing, das fast so dick war wie Nathans Oberschenkel und dessen geschwärzte Knochen aus dem halb zu Staub gewordenen, zerfallenden Fleisch ragten. Oder wenigstens aus dem trockenen Leder, das einst Fleisch gewesen war.
Willkommen in Irrenstatt, sagte die entsetzliche Stimme, und da wusste Nathan, dass es diese Schreckensgestalt war, die zu ihm sprach. Aus eigenem freiem Willen bist du eingetreten, und ich werde dich zum Erben all meiner Geheimnisse machen – sollte dies dein Wunsch sein. Denn zu meiner Zeit besaß ich Macht, Necroscope, so wie du heute über Macht verfügst. Und wer weiß – vielleicht schließen wir eines Tages einen ... Tauschhandel ab, der für uns von beiderseitigem Nutzen ist.
Nathan wusste, dass er auf der Stelle gehen sollte. Aber diese Erfahrung war etwas Neues für ihn. Diese tote Kreatur – dieser ansonsten zur Gänze erloschene Geist – war kein unschuldiger Uralter der Thyre, der in körperlosen Träumen der Vergangenheit nachhing, sondern ein Lord der Wamphyri, der gegen alle Hoffnung immer noch hoffte und Pläne für eine äußerst unwahrscheinliche Zukunft schmiedete! Tatsächlich war diese Zukunft ohne Nathans Mitwirkung ganz und gar unmöglich. Eygors Beharrlichkeit war die eines Vampirs, und Nathan stellte seinen einzigen Verbindungsfaden dar, seine einzige Chance auf ein Fortbestehen.
»Es gibt nichts, was ich von dir haben will«, sagte er und wich noch weiter zurück. »Alles, was du zeitlebens kanntest, war Grauen. Davon habe ich mehr als genug erfahren, und weiteres steht mir vermutlich noch in großem Umfang bevor. Was ich zur Gänze den Wamphyri zu verdanken habe.«
Aber erkennst du nicht die Ironie der Sache?, fragte der andere beharrlich weiter. Dass ich das Werkzeug sein könnte, das alles Unrecht auslöscht, das du erlitten hast ?
War es denn möglich, fragte sich Nathan, die Wamphyri mit ihrer eigenen Bosheit zu bekämpfen? War dies der Weg, den es zu beschreiten galt? Aber welche Macht besaß dieses Wesen? Und wie konnte nach Eygors Tod Nathan womöglich zum ›Erben all seiner Geheimnisse‹ werden?
Ah ja! Der andere stieß einen geistigen Seufzer aus. Sieh nur, wie sehr ich dein Interesse geweckt habe, Necroscope. Oh ja, ich vermute mal, dass wir – bald – wieder miteinander sprechen werden. Doch nun – gib acht! Denn ich erkenne das Tappen von Maglores verstohlenem Pantoffelschritt. Der Magier von Runenstatt naht sich deinem Gemach. Dann also bis zum nächsten Mal ...
Plötzlich verschwand die Höhle mit ihrem ›Bewohner‹. Der Mahlstrom der Zahlen entstand erneut, Nathan spürte das vertraute heftige Zerren fremdartiger Formeln und ... Maglores geistige Sonde, die vor dem Sog und Gewirbel seiner geistigen Barriere zurückschrak.
» Nathaaaan! Nathan!« Der Übergang von einer rein geistigen bösartigen Stimme zu einer anderen, die ihm ganz körperlich in den Ohren klang, verwirrte ihn zunächst ... bis eine klauengleiche Hand ihn an der Schulter packte und heftig schüttelte.
»Wer? Was ...?« Mit einem Japsen schreckte er auf.
»Fürwahr ... wer?« Im gelblichen Flammenlicht der Gasdüsen wirkte Maglores Gesicht scheußlich – und vorwurfsvoll? –, als er sich über ihn beugte. »Wer besucht dich im Schlaf, Nathan? Mit wem führst du geheime Unterredungen in deinen Träumen?«
»Meinen Träumen?« Nathans Geisteswehr war fest errichtet. Nunmehr
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