DÄMONENHASS
spinnwebverhangene Treppe zum obersten verlassenen Stockwerk der ausgeplünderten und von Gespenstern heimgesuchten Stätte hinabstieg. Denn offensichtlich bist du ein unternehmungslustiger Jüngling, der es nicht leiden kann, wenn ein Geheimnis unausgelotet bleibt.
Zwar drang ein schwacher Lichtschimmer von der Schlucht herein, aber Nathan entzündete mit einem Feuerstein eine Fackel. Die innersten Räume und Gänge waren stockdunkel, und der ganze Ort wirkte wie eine Gruft. Oh ja, es ist eine Gruft!, meinte Eygor. Die Gruft eines blinden, schuldlosen Wesens, das man wie Abfall in die Grube geworfen hat, auf dass es hier sterbe und zu Stein werde.
»Schuldlos?«
Ich war ein Wamphyri! Wie kann man einem Geschöpf die Schuld dafür geben, dass es seiner Natur gemäß handelt? Macht man es dem Wolf zum Vorwurf, dass er ein Kaninchen zerreißt? Oder kamst du nur hierher, um mich für jene Taten zu schelten, die ich begehen musste, weil mich der monströse Parasit in mir dazu trieb, der mich mein Leben lang beherrschte und verdarb?
»Alle Menschen haben Triebe«, antwortete Nathan und stieg eine weitere Treppe hinab, um dem Ursprung von Eygors Stimme näher zu kommen. Er achtete darauf, dass seine Fußspuren deutlich im Staub zu sehen waren. »Aber wir geben ihnen nicht immer nach.«
Eben darin besteht natürlich der Unterschied zwischen uns, entgegnete Eygor. Denn wo bloße Menschen gezwungen sind, ihre Leidenschaften zu bezähmen, war ich eben ein Wamphyri.
»Erzähle mir deine Geschichte«, sagte Nathan. »Ich habe einen Teil davon von jemandem erfahren, der zwar die gesamte Geschichte Turgosheims kennt, aber nicht weiß, wo sie hinführt. Das ist ein Geheimnis. Wie bist du gestorben, Eygor?«
Ich starb, wie ich lebte – wie ich, oh ja, gezwungen war, zu leben – auf grausame Weise, selbst nach den Maßstäben der Wamphyri. Denn ich starb von den Händen meiner eigenen Blutsöhne. Willst du davon hören?
»Deswegen bin ich hier«, erwiderte Nathan.
Dann werde ich es dir nicht vorenthalten. Es geschah so:
Ich besaß den bösen Blick. Man brauchte mir nur einen Mann, ein Ziel, einen Szgany zu zeigen, und ich konnte ihn mit einem Blick zermalmen. Die Energie meines Wamphyri-Geistes war so gewaltig, dass ich sie speichern und wie Blitze aus meinen Augen wieder freisetzen konnte, sodass sie wie ein vergifteter Pfeil meine Opfer bis ins Mark traf und ihre Herzen zum Stillstand brachte! Glaubst du mir?
Nathan zuckte die Achseln. »Warum solltest du lügen ...?«, setzte er an.
Genau, fiel Eygor ihm ins Wort.
»... du arme, schuldlose Kreatur ...«
Eygor zuckte die Achseln. Nun gut, vielleicht nicht zur Gänze schuldlos. Aber ... es war mein Parasit! Wie konnte ich mir denn irgendetwas versagen, wo ich doch eine solche Kreatur in mir hatte? Selbst ›Ästheten‹ wie Maglore sind immer noch Wamphyri!
Nathan wusste darüber nur zu gut Bescheid! Mittlerweile war er ins Herz von Irrenstatt hinabgestiegen und hielt in einem Saal mit einem ummauerten Brunnen inne. Doch als er die Fackel über die niedrige Mauer hielt, sah er, dass die unregelmäßige Brunnenöffnung mit Felsbrocken gefüllt war. Es konnte sich kaum um einen echten Brunnen handeln, dafür lag der Ort zu weit von Turgosheims tiefsten Stockwerken entfernt. Die Stelle erweckte eher den Eindruck einer Methankammer oder einer Abfallgrube. Warum war sie dann verschlossen worden? Eygor vernahm Nathans Gedanken und antwortete darauf:
Sie wurde verschlossen, um mich darin festzuhalten! Die Albtraumstimme des toten Wesens erklang nun ganz nah. Sie gurgelte wie ein saugender Sumpf. Du bist mir nun so nahe gekommen, wie du es außerhalb deiner Träume vermagst, Nathan Sehersknecht. Eine stinkende Abfallgrube, oh ja – die Gruft des Eygor Todesblick!
Mit einem Mal schien die Dunkelheit von unsichtbaren Präsenzen erfüllt. Der Rauch von Nathans Fackel kräuselte sich und wand sich zu unirdischen Gestalten, als ob jemand hineingehaucht hätte oder als wäre ein Luftzug seufzend durch den Raum geweht. Nur ging Nathans Atem mehr oder weniger ruhig, und einen Luftzug hatte er nicht gespürt. Noch vor einem Augenblick hatte er den Eindruck gehabt, klebrige Spinnweben zu streifen, die in dicken Strängen von der niedrigen Decke hingen, aber als die Flamme seiner Fackel sie schmelzen ließ, fühlte er an ihrer Stelle die Finger eines unsichtbaren Schemens, die sanft und verstohlen wie die Hand eines Liebhabers über ihn strichen. Es war, als wolle ihn etwas
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