DÄMONENHASS
er sich hier eigentlich ansah: ein mutiertes Vampirwesen – etwas, das Maglore verwandelt hatte, etwas, das nach Vollendung seiner Metamorphose nicht mehr menschlich war.
Er stützte die Ellbogen auf den Mauereinlass des Pferchs, blickte tief in die großen, traurigen Menschenaugen in dem lang gezogenen Mutantenschädel und fragte sich: Wer warst du?
Einst war ich ein junger Mann wie du . Die Antwort kam so unvermittelt, dass Nathan erschrocken gegen die Wand taumelte! Damals war ich ein Mensch, ein Tributant und Maglores Knecht. Aber niemals ein Vampirwesen ... bis zum Ende nicht. Vielleicht habe ich ihn beleidigt, obgleich ich bis heute nicht weiß, womit. Ist es nicht gleich? Es reicht doch, dass das, was du vor dir siehst, alles ist, was von einem Menschen übrig blieb. Oh, doch ging der Seher-Lord von Runenstatt großzügig mit meinem Gehirn um, und er schuf sich für dieses Mal einen schlauen Flieger – verdammt sei sein schwarzes Herz!
Bis ins Mark erschüttert hielt Nathan sich an der Wand fest und flüsterte: »Er ließ dein Gehirn, das Hirn eines Menschen ... ganz?«
Nicht ganz, nein . Jetzt kamen die Gedanken des Fliegers unbestimmter. Doch ganz genug, dass ich mich an ... bestimmte Dinge erinnere. Dazu gehört auch mein Name. Du willst wissen, wer ich war? Ich war ein Knecht, der die Schreibkunst beherrschte und die Geschichte einer ganzen Welt auf Geheiß meines Herrn Maglore aufzeichnete. Mein Name war Karz Biteri ...
Später verbrachte Nathan lange Stunden bei Karz oder vielmehr dem, was einst Karz gewesen war, und erfuhr die Geschichte Turgosheims seit seiner Gründung. Bei jener ersten Gelegenheit war er jedoch eher daran interessiert gewesen, wie dieses – Geschöpf? – seinen Verstand hatte lesen und ihm so klar hatte antworten können.
Er erfuhr, dass es sich mit allen Fliegern so verhielt, denn sie waren die fliegenden Befehlsstände der Wamphyri, die einen direkten Zugang in ihr Bewusstsein hatten, damit sie unverzüglich auf jeden Befehl reagieren konnten. Als Maglore Karz’ Geist umgestaltet und ihm etwas von seiner eigenen fremdartigen Essenz beigegeben hatte, war Telepathie der vorherrschende Anteil gewesen. Er hatte etwas Besonderes verlangt und daher Karz einen Großteil seines Gedächtnisses und sämtliche Kenntnisse über das alte Turgosheim belassen. Daher war Karz Biteri, nunmehr Maglores Flieger, auch ein lebendes Nachschlagewerk zur morbiden Vergangenheit Turgosheims.
Du bist gleichfalls ein mächtiger Telepath, hatte Karz ihm gesagt, darum können wir einander verstehen. Aber du musst lernen, deine Gedanken abzuschirmen, und du solltest stets daran denken, dass in Runenstatt ein Mann niemals allein ist. Als du dachtest, hier sei niemand, las ich viele Dinge in deinem Geist, die Maglore nicht gefallen würden. Und wenn ich sie lesen konnte, kann er es auch .
»Ich hatte meine Gedanken abgeschirmt«, erwiderte Nathan, »die ganze Zeit über, jedenfalls dachte ich das. Aber du hast recht. Ich glaubte, ich sei hier allein. Und als ich dich sah und begriff, was du gewesen bist ...«
... da warst du erschüttert und hast dich vergessen, ich weiß ... Die schluchzende Antwort weckte Nathans Mitleid, darum sagte er: »Auch du solltest deine Gedanken hüten, Karz, denn ich kann deinen Hass auf ihn fühlen. Falls Maglore ihn je entdecken sollte ...«
Ach, das hat er bereits, unterbrach ihn der andere. Er weiß Bescheid! Warum, glaubst du wohl, reitet er nicht mehr auf mir in den Lüften? Weil er befürchtet, dass ich ihn in den Abgrund schleudere. Deshalb hat er diese neuen Kreaturen erschaffen, aber ihnen traut er auch nicht! Denn wenn ich solcherlei Empfindungen hege, haben sie sie vielleicht auch. Oh, er weiß wohl, dass sie nichts dergleichen fühlen, aber er traut ihnen trotzdem nicht. Anscheinend habe ich ihm einen bösen Traum verschafft, den er nicht mehr loswird, und das freut mich!
»Diese Gedanken solltest du wirklich hüten«, hatte Nathan geantwortet, »und zwar sehr sorgsam.«
Karz’ Antwort hatte einem geistigen Achselzucken geglichen. Manchmal hüte ich sie, und manchmal ist es mir gleich. Was bedeutet denn schon mein Leben? Genauso gut könnte ich bei Sonnauf losfliegen und mich über das Gebirge in die Sonne werfen!
In diesem Moment fiel Nathan ein, was Thikkoul für ihn in den Sternen gelesen hatte.
»Jetzt begreife ich ... ein Flug in die Freiheit, oh ja! Aber ... auf einem Drachen?« Und Nathan hatte sich gefragt, ob es wirklich ein Drache sein musste
Weitere Kostenlose Bücher