Dämonenherz
tauchte direkt in eine Gruppe ausgelassener Ballgäste ein und ließ sich mit ihnen treiben, bis sie sich in dem großen Saal wiederfand. Mit brennenden Augen sah sie sich um. Er war ihr nicht nachgekommen. Gut. Sie würde schon etwas anderes finden. Wer Weller als Chef überlebt hatte, den konnte nichts mehr schockieren.
Vom nächsten Tablett nahm sie sich ein neues Glas und stürzte es in einem Zug hinunter. So weit kam es noch, sich von ihm vorschreiben zu lassen, wie viel man zu trinken hatte. Sie wusste sehr gut, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu benehmen hatte. Sie hatte bisher noch niemanden blamiert!
»Oh. Entschuldigung!«
Anna schwankte und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren. Das war aber auch eng hier! Mittlerweile war die Tanzfläche eröffnet und von den Ballgästen gestürmt worden. Eine Debütantin starrte sie wütend an, weil Anna um Haaresbreite ihren Champagner auf deren weißes Seidenkleid geschüttet hätte.
Es war einfach zu voll, und sie wollte unter keinen Umständen Gefahr laufen, Weller zu begegnen. Ihre Stimmung sank. Sie fühlte sich fehl am Platz unter all den ausgelassenen Menschen. Das Beste wäre, sie würde ins Hotel gehen, ihre wenigen Sachen packen und zusehen, wie sie wieder nach Hause kam.
Nach Hause … tiefe Sehnsucht erfasste sie. Und im gleichen Moment durchfuhr sie ein eisiger Schreck. Ihre Abendtasche war weg. Sie hatte sie im Salon liegengelassen. Wie konnte sie auchnur so kopflos davonstürmen! Vor Wut hätte sie am liebsten mit dem Fuß aufgestampft. Immer wurde sie gleich doppelt bestraft. Sie hatte das Gefühl, die Einzige zu sein, der solche Missgeschicke in schöner Regelmäßigkeit passierten. Aber alles Hadern half nichts, sie musste noch einmal zurück.
Sie schlich durch den Säulengang am Ballsaal vorbei, von dem die einzelnen Salons abgingen. Mittlerweile waren die Buffets umlagert, ihr begegneten immer mehr Gäste mit vollen Tellern. Endlich hatte sie den Marmorsaal erreicht, der mittlerweile auch gut besucht war. Vorsichtig lugte sie um die Ecke. Weller war nicht mehr da.
Sie eilte auf den Sessel zu, in dem sie eben noch gesessen hatte, doch ihre Tasche war verschwunden. Ein anderes Paar hatte bereits Platz genommen, beide weit jenseits der Siebzig, aber dennoch rührend bemüht, ihr zu helfen.
»Es gibt ein Fundbüro«, sagte die Dame, als Anna zu ihren Füßen niederkniete, um auch unter dem Sessel nachzusehen. »Vielleicht wurde Ihre Tasche dort abgegeben?«
Annas Zuversicht war mittlerweile auf demselben Tiefpunkt angelangt wie ihre Laune. Warum musste sie an so einem Abend auf allen vieren auf dem Boden herumkrabbeln? Warum stießen ausgerechnet ihr immer diese Dinge zu?
»Nanana.« Die alte Dame beugte sich zu ihr herab. Ihr Schmuck funkelte. Sie trug sicher an jedem Ohrläppchen ein Vermögen mit sich herum. »Sie wird schon wieder auftauchen. Was war denn darin?«
»Mein Lippenstift«, antwortete Anna. »Und mein Glücksbringer.«
»Ein Glücksbringer. Ja, das ist schon bedauerlich, wenn man darauf auf einmal verzichten muss. Aber glauben Sie mir, so eine junge hübsche Frau wie Sie braucht das doch eigentlich gar nicht.«
Anna hockte sich auf die Fersen und betrachtete die Dame genauer. Sie trug ihre schlohweißen Haare zu kinnlangen Wellen gelegt. Sie musste vor langer Zeit einmal eine Schönheitgewesen sein. Selbst jetzt noch strahlte sie Eleganz und Haltung aus.
»Dabei sehen Sie aus, als hätte Sie das Glück bereits geküsst.«
Vorsichtig, um ihrem Kleid nicht zu schaden, stand Anna auf.
»Vielen Dank, Sie sind sehr freundlich. Ich werde zum Fundbüro gehen.«
Anna verabschiedete sich und verließ den Saal. Das ältere Paar nickte ihr noch einmal freundlich zu. Den nächsten Kellner erleichterte Anna um ein weiteres Glas und die Information, wo sie das Fundbüro finden könnte. Noch während er ihr den Weg beschrieb, wurde Anna klar, dass das an diesem Abend wohl nichts mehr werden würde. Sie verstand nur die Hälfte. Als der Mann sich wieder anderen Gästen widmete, lehnte sie sich an eine Marmorsäule und starrte in ihr Glas. Das war es dann wohl. Also ab ins Hotel und am nächsten Morgen auf dem Weg zum Flughafen noch einmal nachfragen.
Sie fühlte sich unsicher. Der Stein hatte ihr Kraft und Selbstbewusstsein gegeben. Ohne ihn war sie nur noch ein Zaungast, der genau wusste, dass er hier nichts verloren hatte. Trübsinnig starrte sie auf den Champagner und die kleinen Perlen, die wie an einer Schnur aufgereiht
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