Dämonenherz
Zwischentöne aber, das Verzeihen beispielweise, haben sie verlernt. Als Sandrine am Boden lag und um Gnade winselte, hat er sie ihr gewährt. Unter der Bedingung, sich aus ihrem Gefolge einen eigenen Ghul zu wählen.«
»Jean-Baptiste?«
Die Baronesse nickte. »Diese Niederlage aber hat Sandrine ihm nie verziehen. Weller empfand Mitgefühl. Und ich denke, er hat bis heute die eine oder andere Gefühlsregung in sich be wahrenkönnen. Auch wenn er sie recht selten zeigt, denn sie sind ein großer Nachteil den anderen Imperatoren gegenüber. Seine Achillesferse. Sandrine ist die Einzige, die sie kennt. Also machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob er Sandrine nun geküsst hat oder nicht. Was er für sie empfindet, ist keine Liebe. Noch nicht einmal Hass. Höchstens … Mitleid.«
Die Baronesse hob den Kopf und lauschte. Schritte näherten sich der Tür. Sie wurde geöffnet, und Henry steckte seinen Kopf durch den Spalt.
»Ist alles recht, gnädige Frau?«
»Danke, mein Lieber.« Die Baronesse machte eine leichte Handbewegung, und Henry verschwand.
»Wo waren wir stehengeblieben?« Die alte Dame hob verlegen die Schultern. »Ach ja. Wellers Schwächen. Die Frauen, beispielsweise. Für sie hatte er bisher keine glückliche Hand. Er hat sich Frauen gesucht, die das Gleiche wollten wie wir alle: Geld, Macht, Ruhm, ewige Jugend. Sie waren bereit, alles dafür aufzugeben. Auch ihn. Tief im Herzen des Vulkans wird Ihnen eine Frage gestellt: was Sie bereit wären zu opfern. Alle haben bisher falsch geantwortet.«
Die Stimme der Baronesse war leiser geworden. Anna beugte sich vor, um sie besser zu verstehen. So wirr das auch alles war, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte – spannend war es schon.
»Sie wären die Erste, die vielleicht die richtige Antwort weiß. Weil Sie die Erste sind, für die Weller wirklich etwas empfindet.«
»Aber er liebt mich nicht.«
Die Baronesse lächelte. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Liebe ist doch kein Tauschgeschäft. Jedenfalls habe ich ihn noch nie so in Sorge um jemanden gesehen.«
»Wann denn?«
»Als ihr beide von den Sternen zurückgekehrt seid.«
»Na bitte. Es war kein Traum«, flüsterte Anna.
»Was ist schon Traum und was Wirklichkeit in der Ewigkeit?«, fuhr die Baronesse fort. »Sie haben sich zwei Mal voller Mutgegen Sandrine erhoben. Das erste Mal, als sie um ein Haar Wellers Macht gebrochen hätte. Sie hat seinen Blick eingefangen, und das ist tödlich für einen Skorpion.«
»Das Foto! Guyot!«
»Richtig. Sie hat ihren Ghul bei diesem Kampf verloren, und das ist ein sehr schmerzlicher Verlust. Das zweite Mal war gestern, als Sie sie beschossen haben. Womit eigentlich? Es gibt wenig Waffen, die ein Imperator fürchtet.«
»Mit meinem Glücksbringer.« Anna grinste. Wenn man sich erst einmal auf dieses Spiel einließ, wurde es irgendwie logisch. »Es ist ein Stein aus dem Garten meiner Eltern. In ihm ist all die Liebe und Wärme, die ich dort bekommen habe.«
»Genau das, was Sandrine am meisten gefährlich werden kann. Denken Sie daran. Und an die richtige Antwort. Und dass Weller Sie liebt.«
»Er hat Sandrine geküsst.«
Die Baronesse hob verwundert die Augenbrauen. »Tatsächlich? Wann?«
»Gerade eben. Als er das Hotel verlassen hat.«
»Das hat nichts zu bedeuten.«
Doch diese Antwort war zu schnell gekommen, um wirklich wahr zu sein. Als Anna den Mund öffnete, um nachzufragen, hob die Baronesse die Hand.
»Ich bin müde, mein liebes Kind. Ich bin alt und habe große Fehler gemacht. Der größte war, dass ich mich zu spät entschlossen habe, in den Kreis zu treten. Ewig alt und allein sein ist kein Zuckerschlecken.«
»Ja.« Anna nickte. »Das kann ich mir vorstellen.«
»Machen Sie es anders. Egal, wie Sie sich entscheiden, tun Sie es von Herzen. Seien Sie hundertprozentig überzeugt. Bereuen Sie nichts. Weder jetzt noch später.«
»Okay.«
Anna stand auf. Die Baronesse griff nach der Klingel, und im Handumdrehen stand Henry wieder bereit, um sie hinauszubegleiten.
»AllesGute, mein liebes Kind.«
Die Baronesse drückte Anna herzlich an ihre Brust. Anna erwiderte die Umarmung und spürte dabei, wie zart und zerbrechlich die kleine Frau war.
Als sie mit Henry die Eingangshalle erreicht hatte, stellte sie ihm noch eine Frage.
»Wie alt ist die Baronesse eigentlich?«
»Oh.« Henry schien überrascht. »Das fragt man eigentlich nicht.«
»Ich wollte nur wissen, ob sie die Belagerung der Stadt durch die Türken schon erlebt
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