Dämonenherz
staunen Sie, was? Ich wette, es geht nach Palermo. Ich kann Ihnen sogar sagen, wann. Am dreiundzwanzigsten. Habe ich recht?«
»Die Acht«, wiederholte Anna warnend.
»Ich mag Sie.« Sam schob seinen Teller weg und warf die Serviette auf sein übriggebliebenes Essen. »Ich mag auch Weller. Am meisten hier aber mag ich meinen Job. Ich habe eine Menge Aufstiegschancen. Ich will ganz nach oben, und das schafft man nicht in einer kleinen Klitsche, sondern nur in einem globalen Konzern.Ich bin absolut dafür, das Amerika-Geschäft auszuweiten. Deshalb versauen Sie das nicht.«
Alles Unterwürfige war mit einem Schlag verschwunden. Offenbar versuchte er es jetzt auf eine andere Tour.
»Sie haben nichts zu bieten, Anna. Sie sind eine absolute Null. Das ganze Haus fragt sich, was Weller bewogen hat, ausgerechnet Sie zu seiner persönlichen Assistentin zu machen.«
Wie auf Bestellung schlenderte gerade die hübsche IT-Spezialistin an ihnen vorbei, die Anna beim Einrichten ihres Schreibtisches geholfen hatte. Sie lächelte Sam zu. Als sie erkannte, neben wem er saß, glitt ihr Blick kaum merklich über Annas Aufzug. Ihr Lächeln verlor einiges an Freundlichkeit.
»Hallo, Sam!«
»Hi, Lucy.«
Sie schlenderte mit einem Hüftschwung vorbei, der wohl in erster Linie Sam galt. Anna beugte sich wieder über ihren Salat. Okay. Sie hatte sich weder die Haare gestylt, noch war sie geschminkt. Sie war eben so, wie sie war. Aber tief in ihr drin hatte Sam einen wunden Punkt getroffen. Sie fühlte sich unzulänglich unter all den vollkommenen Menschen hier.
»Er wird schon seine Gründe haben«, nuschelte sie. »Ihnen wird er sie jedenfalls nicht verraten.«
»Und Ihnen? Hat er Ihnen gesagt, warum Sie eigentlich hier sind?«
Anna spießte ein Stück Gurke auf. Sam nahm ihr Schweigen nicht sehr sportlich.
»Die Acht, ich verstehe. Dann will ich Sie nicht mit etwas langweilen, was Sie sowieso schon wissen.«
Er griff nach seinem Teller und wollte aufstehen, aber Anna hielt ihn zurück.
»Was sagt denn der allgemeine Büroklatsch über mich?«
»Das wollen Sie nicht wirklich hören.«
»Doch.«
Sam warf ihr einen misstrauischen Blick zu. Dann sah er sich um, ob auch niemand ihre kleine Unterredung belauschte. Das Kommenund Gehen um sie herum und die vielen lauten Gespräche waren wie eine Mauer, hinter der sie sich verschanzen konnten.
»Wenn Sie schon keine fachliche Kompetenz haben, dann wird sie auf anderer Ebene vermutet.«
Sam beobachtete sie scharf, ob sein Giftpfeil auch genau an der richtigen Stelle getroffen hatte.
»Sie passen nicht hierher«, fuhr er fort. »Sie haben nicht den Ehrgeiz, der uns alle antreibt. Um diesen Job zu machen, reicht es nicht, mit dem Chef ins Bett zu gehen.«
Anna wunderte sich, dass sie so ruhig blieb. Normalerweise hätte sie Sams spitze Nase direkt in seine Sojasoße getunkt. Aber das wäre nur Wasser auf seinen Mühlen gewesen.
»Nein?«, fragte sie verwundert. »Was denn noch? Mit Ihnen etwa auch? Das wäre dann allerdings wirklich Arbeit. Und damit will ich mir doch nicht den Tag verderben.«
Sie ließ das Geschirr stehen. Als sie an Lucys Tisch vorbeikam, die sich mit zwei anderen Grazien gerade ein Salatblatt teilte, nickte sie ihr nur flüchtig zu. Erst als Anna ihr Büro erreicht hatte, fiel die Spannung etwas von ihr ab.
Mobbing, auch das noch. Das hätte sie sich denken können. Inmitten all dieser superkompetenten Wesen war sie natürlich die absolute Exotin. Ihr angeknackstes Selbstbewusstsein hatte noch einen weiteren Dämpfer erlitten. Sie nahm das Foto ihrer Eltern und betrachtete es lange.
Was will ich eigentlich hier?, fragte sie sich. Ich bin inkompetent, habe von nichts eine Ahnung, und ich liebe meinen Chef.
Sie verstaute das Bild in ihrer Aktentasche. Dann stand sie auf und strich zum Abschied noch einmal über den Schreibtisch. Die Espressomaschine begann zu gurgeln, die Klimaanlage sprang an, und auf dem Monitor erschien ein Bild. Es zeigte das Büro mit der atemberaubenden Skyline, das Anna schon einmal gesehen hatte. Doch es war leer, der Chefsessel stand verwaist vor der Fensterfront. Anna spürte, dass sie keinen Kontakt mehr zu Weller hatte.
Siebeschloss, auf den letzten Kaffee zu verzichten und gleich zu ihrem Vater zu fahren. Lieber ein Bahndammtee in einem abbruchreifen Haus als ein Espresso in einem Konzern, in dem sie keiner haben wollte. Es war ein Ausflug in die Welt der Reichen gewesen, in der Menschen bereit waren, für Geld alles zu tun.
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