Dämonenherz
mattglänzendem schwarzen Leder, und in ihren Einband war ein goldenes Symbol geprägt.
Sie ging näher heran, um es genauer zu betrachten. Ein Skorpion.
Il scorpio.
Vermutlich eine Firmenbezeichnung oder ein Immobilien fonds.Vorsichtig, nur mit dem Zeigefinger ihrer freien Hand, hob sie den Deckel und klappte ihn schließlich um.
Es musste sich um eine Urkunde handeln. Zumindest befand sich am unteren Rand ein Siegel, über dem mehrere handschriftliche Signaturen zu sehen waren. Mehr konnte sie nicht erkennen, dafür reichte das Licht nicht. Sie biss wieder in den Apfel und wollte gerade den Deckel schließen, als ein dicker Safttropfen herunterfiel, direkt auf eine Unterschrift. Der getroffene Buchstabe verlief augenblicklich.
Hastig sah sie sich um, aber sie konnte kein Löschpapier entdecken. Weller würde beim ersten Blick auf diese Urkunde feststellen, dass sie geschnüffelt hatte. Das Blut schoss ihr in die Wangen bei dem Gedanken, was er dann von ihr denken würde. Vorsichtig legte sie den schweren Lederdeckel wieder um und richtete die Mappe ordentlich zur Tischkante aus. Dann legte sie den Umschlag mit der Speicherkarte des Fotografen dazu. Mit einem Kugelschreiber des Hotels kritzelte sie eine kurze Notiz darauf.
»Heute, vierzehn Uhr, Interview mit Martin Guyot, als Gegenleistung für die Fotos.«
Das würde wenigstens erklären, was sie an den Schreibtisch getrieben hatte. Als sie die Suite verließ, redete sie sich gut zu. Ihr Ruf war sowieso ruiniert. Da kam es auf einen kleinen Fleck wohl auch nicht mehr an. Sie war eine zügellose, hemmungslos neugierige, indiskrete Apfeldiebin.
Erleichtert fuhr sie mit dem Aufzug nach unten. Als Frau für eine Nacht wäre es schwer gewesen, in den Spiegel zu schauen. Aber als Apfeldiebin konnte sie hoffen, diesen Tag, der sich gerade aus der Morgendämmerung erhob, irgendwie zu überstehen.
Weller wartete, bis Anna die Suite verlassen hatte. Dann betrat er von der Terrasse aus den Salon. Er war erleichtert gewesen, dass sie offenbar nicht vorhatte, einen langen und sentimentalen Abschied zu zelebrieren. Trotz ihrer Unerfahrenheit schien sieeine Frau zu sein, die keine Lügen brauchte, keine Höflichkeitsfloskeln, keine Versprechen, die in dem Moment schon gebrochen waren, in dem man sie ausgesprochen hatte.
Was ihn etwas aus der Fassung gebracht hatte, war ihre Fähigkeit, ihm den Zutritt zu ihren Gedanken zu verwehren. Offenbar wusste sie nichts von dieser Gabe, die nur wenigen Sterblichen geschenkt wurde. Die meisten Frauen, die ihm im Laufe seines Lebens begegnet waren, ließen ihn in ihren Wünschen, Träumen und Sehnsüchten herumspazieren wie in einem öffentlichen Park. Anna Sternberg aber hatte unbewusst genau im richtigen Moment die Reißleine gezogen. Noch immer spürte er eine Berührung wie von eiskaltem Metall in seinem Nacken, wenn er an die Guillotine dachte. Im Moment konnten ihm solche Bilder nichts anhaben. Doch die wenige geschützte Zeit, die ihm noch blieb, würde bald vorüber sein. Er musste sich vorbereiten.
Er nahm den angebissenen Apfel und warf ihn in den Papierkorb. Dann erst fiel ihm der Umschlag auf. Das leise Bedauern bei seinem Anblick ignorierte er als flüchtige Gefühlsregung, die er eigentlich schon lange aus seiner Welt verbannt hatte. Sicher, es wäre interessant gewesen, Anna noch einmal zu sehen. Und vielleicht, wenn sie es geschickt angestellt hätte, wäre sie durchaus eine Kandidatin für einen erneuten Versuch gewesen.
Weller vermied es, zwei Mal mit der gleichen Frau zu schlafen. Es war ein fataler Fehler, weil die Wiederholung für ihn ähnlich aufregend war wie einen Film im Kino zwei Mal hintereinander zu sehen. Frauen reagierten anders. Ein zweites Mal hieß bei ihnen: Verlobung, Hochzeit, Kinder, Leben in Überfluss und Luxus. Manchmal nannten sie alles zusammen Liebe. Doch Weller wusste, dass die Liebe, die er suchte und brauchte, nichts mit all dem zu tun hatte.
Anna Sternberg allerdings könnte durchaus einen gewissen Unterhaltungswert haben. Er stellte sich vor, welche Ausreden sie bringen würde, wie sie sich wehren würde gegen das, was als tiefe, unstillbare Sehnsucht in ihr schlummerte. Es würde ihm Spaß machen, sie zappeln zu sehen.
Ichbrauche dich.
Nicht Verlobung, Hochzeit, Kinder, Luxus, sondern ein klares Ziel. Aber etwas zu brauchen hieß noch lange nicht, es auch zu lieben. Sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen. Er war mit dem Thema durch.
Er hob den Umschlag hoch und entdeckte,
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