Dämonenherz
dass sie etwas darauf geschrieben hatte. Wahrscheinlich einen dieser absichtsvoll flüchtigen Sätze, die von der vagen Hoffnung auf ein Wiedersehen handelten. Darum also hatte sie ihr Pfand hiergelassen. Sie wollte zeigen, wie großzügig sie war, und indirekt mit dem Zaunpfahl winken, dass man einen so guten Menschen doch nicht verletzen dürfte, indem man ihn einfach zu den Akten legte. Das enttäuschte ihn. Er hatte mehr Widerstand erwartet. Offenbar war sie auch nur eine Frau wie alle anderen.
Gelangweilt schaltete er die Schreibtischlampe an und las.
Im nächsten Moment ließ er den Umschlag fallen, hechtete durch die Terrassentür nach draußen und beugte sich über das Geländer. Alles, was er von Anna noch zu sehen bekam, waren die Rücklichter eines davonfahrenden Taxis.
Mit einem Fluch wandte er sich ab und ging zurück. Und dann stellte er fest, dass bei dem Gedanken an sie eine Vielzahl unerwarteter Gefühle in ihm tobte: Ärger, Wut, Erstaunen, Zorn und eine niederträchtige Vorfreude darauf, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen war.
Alles also, nur keine Langeweile.
5 .
A ls Anna sich an diesem Morgen zu Hause in ihr Bad schleppte, hätte sie eine Menge dafür gegeben, diesen Tag schwänzen zu dürfen. Nur der Gedanke an Vicky hatte sie davon abgehalten, ihren Wecker mit einem einzigen Handkantenschlag zu spalten. Eine Stunde Schlaf – wenn man das ständige Herumwälzen und Nachdenken überhaupt so nennen konnte – reichte einfach nicht aus, um genügend Abstand zwischen sie und die Ereignisse der Nacht zu bringen.
Sie duschte noch einmal, um den Duft der teuren Bodylotion abzuspülen, der ihr jetzt gar nicht mehr gefiel. Dann schlüpfte sie in eine ausgewaschene Jeans und ein weites Karohemd. Die Kleidungsstücke entsprachen ungefähr dem, was ihr Schrank unter der Abteilung »Sack und Asche« zu bieten hatte. Sie bürstete ihre Haare ein paarmal über Kopf aus, fuhr mit den Händen durch die Mähne und streckte ihrem zerzausten Spiegelbild die Zunge heraus. Make-up konnte sie sich sparen. Sie hatte heute keinen Termin außer Haus.
Zwei Tassen Kaffee lang überlegte sie, wie ihre Freundin und Geschäftspartnerin auf den Bericht des jüngsten Desasters reagieren würde. Erst nachdem Anna bereits die dritte Scheibe Knäckebrot ungegessen über ihrem Teller zerkrümelt hatte, war sie bereit, dem Tag und Vicky ins Gesicht zu sehen. Immerhin hatte sie eine Nacht mit Weller überlebt. Das stärkte das seeli scheImmunsystem ungemein. Und er hatte offenbar auch seinen Spaß gehabt, zumindest hatte er Anna diesen Eindruck vermittelt. Warum sollten zwei erwachsene Menschen also nicht tun, worauf sie Lust hatten?
Mit genau dieser Frage schloss Anna ihre etwas umständlichen und weitschweifenden Ausführungen über den Ausgang ihres geschäftlichen Treffens, das im Allerprivatesten versandet war, ohne das kleinste berufliche Ergebnis zu bringen. Sie stellte diese Frage, nachdem Vicky länger als dreißig Sekunden keinen Ton gesagt hatte.
Das Schweigen wurde langsam unheimlich. Ihre Freundin nippte an ihrem Kaffeebecher, sah über seinen Rand hinweg Anna mit einem rätselhaften Blick an und wartete darauf, dass diese von allein die passenden Schlüsse ziehen würde. Schließlich setzte Vicky die Tasse ab.
»Du willst wirklich eine Antwort?«
Anna nickte. Vicky rührte zerstreut in ihrem Becher, bevor sie ihn noch einmal ansetzte und leerte. »Du gehst also bei deinen Überlegungen von zwei erwachsenen Menschen aus. Nehmen wir an, Weller ist der eine. Wer war dann der zweite? Doch nicht etwa du?«
»Mit Spott hilfst du mir auch nicht weiter.«
»Gut.« Vicky schien mit dem Nachdenken fertig zu sein. »Zwei erwachsene Menschen tun also das, worauf sie Lust hatten. Hattest du Lust auf Carl Weller?«
Anna schwieg. Was sollte sie auf so eine Frage antworten? Nein? Niemals? Wie könnte ich? Ein Merkmal von unüberlegten Situationen war eben, dass man sie nicht bis ins letzte Detail im Vorfeld überlegte.
Vicky blickte zur Decke, als ob das Einzige, was Anna noch retten könnte, eine religiöse Eingebung sein könnte.
»Ist mir da gestern vielleicht etwas entgangen? Soweit ich mich erinnere, hattest du vor, von ihm einen Auftrag zu bekommen. Stattdessen wirst du überwältigt von plötzlichen Gefühlen, er offenbar auch, und das Ende vom Lied ist, dass du jetzt auch noch mitleeren Händen dastehst, während er alles hat, was er wollte: die Speicherkarte.«
Vicky warf
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