Dämonenherz
Anna einen kurzen Blick zu, um zu prüfen, ob sie ihr auch noch den Rest zumuten konnte. Offenbar hatte sie nicht vor, heute allzu schonend mit ihrer Freundin umzugehen. »Und einen netten Zeitvertreib.«
Anna nagte an der Unterlippe. Der einzige schwache Trost war, dass sie Weller zu einem Interview mit einem Gebäudereiniger verdonnert hatte. Ganz so ungeschoren kam er also nicht davon. Sie hoffte das Beste für Guyot und dass er die Chance seines Lebens hoffentlich besser nutzte, als sie es getan hatte.
Anna betrachtete den weißen Stein auf ihrem Schreibtisch, den sie als Briefbeschwerer benutzte. Er stammte aus dem Garten ihrer Eltern und war eine Erinnerung an glücklichere Tage, als Alter und Krankheit noch nicht an das verwitterte Tor geklopft hatten, an das sie in Wellers Armen so verzweifelt gedacht hatte.
Ein glühender Blitz schoss durch ihren Leib, als die Bilder der Nacht unversehens wieder vor ihrem geistigen Auge aufstiegen. Sie wäre am liebsten allein gewesen, hätte sich verkrochen und darüber gegrübelt, wie lange es wohl dauern würde, bis sie das alles vergessen hätte. Eine Ewigkeit vermutlich. Aber diesen Luxus konnte sie sich nicht gönnen.
»Es ist nun einmal passiert, und ich kann es nicht mehr ändern.«
»Okay.«
Vicky nickte. Dabei versuchte sie, ein gefasstes Gesicht zu machen.
»Zwei Chancen an einem Tag vermasselt. Wir bewegen uns auf einen neuen Rekord zu.«
»Ja. Und ich denke, das ist der Moment, in dem ich dir den ehrenvollen Rückzug anbiete.«
Sie wollte Vicky nicht auch noch im Untergang an sich binden. Ihre Freundin hatte lange genug den Kopf für Annas Fehler hingehalten. Wenn Vicky jetzt ginge, käme sie vielleicht noch mit einem blauen Auge davon.
»Steigaus, Vicky. Ich schaffe das hier auch alleine. Irgendwie.«
»Irgendwie!«
Vicky schnaufte vor Empörung. »Man hat uns den Strom abgedreht. Wie willst du das denn in Ordnung bringen? Glaubst du, es wird besser, wenn du niemanden mehr hast, der dir den Kopf wäscht? Wir stehen das zusammen durch. In guten wie in schlechten Zeiten. Haben wir uns verstanden?«
Anna lächelte schwach. »Das klingt ja fast nach einem Ehegelübde.«
»Eher nach der Bundeswehr«, konterte Vicky. Dann beugte sie sich vor und senkte die Stimme. »Wie war er denn?«
»Nicht von dieser Welt«, flüsterte Anna zurück. »Allein, wie er küsst … als ob er deine Seele trinkt.«
Vicky seufzte. Ihre Augen bettelten um mehr.
»Und er weiß, was eine Frau braucht. Er ist das reine, pure Wollen. Du willst, er will, und dann, voilà, kriegen es beide.«
»Keine Übertreibung?«
»Keine Übertreibung.«
»Du Glückliche.« Vickys Blick bekam etwas Sehnsuchtsvolles. Anders als Anna war sie nie verheiratet gewesen und immer noch auf der Suche nach der großen Liebe. Anna gönnte sie ihr von Herzen und wünschte sich, dass wenigstens ihrer Freundin die bittere Erfahrung erspart bliebe, dass jedes noch so intensive Gefühl eines Tages sein Verfallsdatum überschritt.
»Und dann lässt er dich einfach so gehen?«
Anna nickte. Sie hatte Vicky nichts verschwiegen. Auch diesen seltsamen Abschied nicht, als es schien, dass keiner dem anderen mehr nette Worte und geheuchelte Komplimente schenken wollte.
»Also … hat er nichts gesagt, dass du den Job bekommen hast?«
»Nein.«
»Aber auch nicht, dass du ihn nicht bekommen hast.«
»Eigentlich nicht.«
»ImGrunde genommen gilt also eure Absprache immer noch.«
Anna schüttelte den Kopf. »Nein. Sie gilt nicht mehr. Für mich jedenfalls nicht.«
»Aber für mich.«
Anna fuhr zusammen. Vicky, die ihr gegenübersaß, drehte sich reflexartig um. Beide starrten auf die hochgewachsene, elegante Gestalt von Carl Weller, der sich interessiert in ihrem Büro umsah, bevor er es betrat.
Anna hatte ihr Büro immer gemocht. Es lag vielleicht nicht in der richtigen Gegend der Stadt. Das Gebäude hatte keinen Aufzug, und man musste drei Stockwerke hinauflaufen, aber diese Räume waren das, was sie und Vicky ganz allein in den letzten Jahren geschaffen hatten.
Zwei Räume, hell und lichtdurchflutet, gingen ineinander über. Die Wände hatten sie gemeinsam gestrichen, die Möbel billig bei einem Einrichtungsgeschäft gekauft, das seine Kunden unter Zuhilfenahme von Inbusschlüsseln und unverständlichen Gebrauchsanweisungen in den Wahnsinn treiben wollte. Anna erinnerte sich, dass allein das Zusammenbauen der Schubladenunterschränke sie drei Tage Arbeit und einen bis dahin nicht gekannten Vorrat an
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