Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
überraschte R'shiel nicht im Mindesten. Sie hatte etwas Derartiges vermutet. Ohne Not hätte Tarja sich niemals freiwillig ergeben.
»Dann seid Ihr willens, mir beizustehen?«
Alcarnen nickte. »In der Morgenfrühe wird die Wache abgelöst. Wenn ich eine plötzliche Sonderbesichtigung des Kerkers durchführe, kann ich den Wachwechsel für ein Weilchen verzögern. Wir teilen für die Bewachung der Verliese nicht die tüchtigsten Leute ein. Die Kerle dürften sich im Halbschlaf befinden, oder sie sind, falls es ihnen gelungen ist, einen Krug Wein am Wachtmeister vorbeizuschmuggeln, sogar betrunken.«
»Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll, Hauptmann Alcarnen.«
»Indem du niemanden umbringst«, lautete Alcarnens Antwort. »Und indem du, solltest du geschnappt werden, meinen Namen verschweigst. Ich leiste dir Beihilfe, weil Tarjanian einst mein Freund war, aber kein so enger Freund, dass ich neben ihm den Galgen zieren möchte.«
R'shiel nickte. »Das kann ich verstehen.«
»Daran zweifle ich«, sagte Alcarnen, machte auf dem Absatz kehrt und eilte davon. Schon nach wenigen Schritten verschwand er im Dunkeln, und R'shiel war wieder allein.
27
Tarjanian erwachte beim ersten Morgenlicht. Durch das kleine Gitterfenster tasteten Finger grauen Lichts zur Zelle herein, während er zögerlich die Besinnung zurückerlangte. Er schlug die Augen auf, lag für eine ganze Weile reglos da und versuchte zu erahnen, was nicht stimmte, was sich verändert hatte. Der Gestank des eigenen Körpers ekelte ihn an. Sein Leib roch nach Schweiß, Blut und altem Harn.
Es dauerte eine gewisse Zeit lang, doch zu guter Letzt begriff er, dass seine Augen offen standen. Noch länger brauchte er, um zu merken, dass er sich bewegen konnte. Zaghaft setzte er sich auf und erwartete heftigen Schmerz. Aber er verspürte keine Beschwerden mehr. Die Schmerzen blieben vollkommen aus.
Mit wachsendem Staunen spreizte Tarjanian die Finger, seine wieder heilen, gesunden Finger. Er strich mit der Zungenspitze über die Zähne, die fest im Kiefer staken, fuhr sich damit über glatte, unversehrte Lippen. Fassungslos zog er den zerfransten Ärmel seines verdreckten, mit Blut gesprenkelten Hemds hoch und kratzte an einem Schorf des Arms. Schon bei der leichtesten Berührung löste sich die Kruste und enthüllte rosige, verheilte, narbenfreie Haut. Als er das Schultergelenk erprobte, drehte es sich ungehindert und schmerzlos. Er schwang die Füße auf den Boden und stellte dabei fest, dass auch den Fußsohlen eine wundersame Heilung widerfahren war: Lediglich geronnenes Blut und abgelöste Hautfetzchen zeugten noch vom Zustand des vergangenen Abends.
Allen Ernstes überlegte Tarjanian, ob er womöglich noch immer träumte. Er erinnerte sich an ein kleines Mädchen, das durch den Traum gespukt war, und eine zweite, jedoch schemenhafte Gestalt. An Einzelheiten entsann er sich nur verschwommen. Er hatte das Bewusstsein verloren, wusste noch, dass er erneut ins schwarze Nichts entschwebt war, aber was sich danach ereignet haben mochten, vermochte er nicht zu sagen. Flüchtig fragte er sich, ob wohl seine heidnischen Freunde zu seinen Gunsten ihre Götter bemüht haben könnten. Gegenwärtig sah er für seine wunderbare Genesung keine andere Erklärung. Für jemanden, der gar nicht an Götter glaubte, bedeutete so etwas eine beklemmende Vorstellung.
Gepolter in der Wachstube lenkte Tarjanian von der Untersuchung seiner Gliedmaßen ab. Man kam ihn holen. Auf sonderbare Weise ließ es sich leichter ertragen, wenn Schmerz um Schmerz zur Qual angehäuft wurde, statt frei von aller Pein neuem Leid entgegenzublicken. Was mochte man wohl von seiner Wunderheilung halten? Wahrscheinlich ließ Frohinia ihn als Zauberer in einem Sack ersäufen.
Die Zellentür schwang auf, und ein Wächter taumelte herein, als wäre er volltrunken. Dichtauf folgte ihm Davydd Schneider. Entgeistert sah Tarjanian den Wachmann zusammensinken.
»Keine Bange, er hat bloß 'n Betäubungsmittel gekriegt«, sagte Schneider. »Er wird später nichts als Kopfschmerzen haben.«
Verblüfft starrte Tarjanian den jungen Fähnrich an.
»Heda, Hauptmann, kommt zu Euch! Falls Ihr es nicht selber merkt, Euch bietet sich soeben die Gelegenheit zur Flucht. Also haltet nicht Maulaffen feil!«
Tarjanian sprang auf, tat einen Satz über den ausgestreckten Wächter hinweg und eilte Davydd Schneider in den Korridor nach. »Stehen Pferde bereit?«, schnaufte er, sobald er nahe der Ausgangstür
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