Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
überstürzt anhielt. Allerdings empfand er die Frage als geradezu lächerlich. Eigentlich beschäftigten ihn gänzlich andere Unklarheiten: Wieso bin ich zum Rennen fähig? Noch gestern Abend konnte ich mich kaum auf den Beinen halten. Was ist mit mir geschehen?
»Freilich«, versicherte Schneider. »Gleich vorm Haus.«
Im Vorzimmer wartete ein zweiter Mann, ein junger Hüter, der vielleicht noch Kadett gewesen war, während Tarjanian seinen Grenzsicherungsdienst in der Südmark verrichtet hatte. Nicht einmal sein Name fiel Tarjanian ein.
»Es ist vorteilhafter, Ihr kleidet Euch um«, riet ihm der Mann mit Nachdruck und händigte ihm einen sauberen Waffenrock nebst sonstiger frischer Bekleidung aus. »Ihr reitet zum Haupttor hinaus, sobald es geöffnet wird. So wie Ihr jetzt ausseht, könnt Ihr nicht als Hüter gelten.«
Tarjanian nahm die Sachen entgegen und zog sich hastig um; erleichtert entledigte er sich seiner völlig verschmutzten Fetzen. Während er in die Stiefel stieg, sah er die beiden Männer an.
»Wenn man uns ertappt«, warnte er sie, »müsst ihr mit mir baumeln.«
Fähnrich Schneider hob die Schultern. »Ich sähe darin nichts Schlimmeres als das üble Los, heutzutage Hüter zu sein.«
Diese Antwort flößte Tarjanian gleichermaßen Trauer und Ermutigung ein. Er richtete sich auf und ergriff das Schwert, das Davydd Schneider ihm reichte.
»Habt Dank.« Wie ist es möglich, dass meine Faust ein Schwert halten kann? Man hat mir die Finger gebrochen. Ich muss nach wie vor einen Traum durchleben .
»Die Luft ist rein«, sagte der Fähnrich, nachdem er hinaus in den Hof gespäht hatte.
Tarjanian folgte ihm ins Freie, aber er blieb wie vom Donner gerührt stehen, sobald er sah, wer die bereitgestellten Pferde hielt. R'shiel wandte sich um, als sie die Männer kommen hörte. Zunächst musterte sie ihn verdutzt, als wunderte es sie, dass er überhaupt fähig war, sich aufrecht zu halten. Dann aber begrüßte sie ihn mit einem knappen Nicken.
»Das Haupttor wird bald geöffnet«, äußerte sie. »Wir sollten uns sputen.«
»R'shiel ...«
»Nimm du den Braunen«, fiel sie ihm ins Wort und überließ ihm die Zügel. Ihre Miene blieb undeutbar. »Ich habe gehört, du würdest gefoltert. Es freut mich zu sehen, dass du nicht über Gebühr leiden musstest.«
Befremdet sah Tarjanian sie an. Anscheinend verstimmte es sie, dass er noch alle Glieder beisammen hatte. Doch wie sollte er ihr erklären, was sich ereignet hatte, wenn er es selbst nicht durchschaute?
»Vorwärts, kommt!«, drängte Davydd Schneider.
Tarjanian schwang sich in den Sattel und ritt mit seiner Begleitung aus dem Hof in die Straßen der Zitadelle. R'shiel trabte zu seiner Linken dahin, die beiden Männer hatten sich hinten angeschlossen. Sie vermied es, ihn anzusehen. Er begriff nicht, weshalb sie schmollte, und ebenso wenig, wie sie in seine Befreiung verwickelt sein konnte. Und außerdem verstehe ich nicht , dachte er, wie ich am Abend als Zermalmter einschlummern und dennoch am Morgen heil und kerngesund aufwachen kann .
Auf dem Weg zum Haupttor verdrängte Tarjanian allmählich die Frage nach dem Ursprung seiner rätselhaften Genesung. Erst einmal musste er die nächsten Stunden überstehen, ehe er sich an den Versuch machen konnte, ein derartig unfassbares Mysterium zu lösen. In unmittelbarer Nachbarschaft des Haupttors standen die Gebäude eng zusammen, weil Menschen, keine Harshini, sie erbaut hatten. Überwiegend hatten sie drei Geschosse und graue Schieferdächer. Viele waren Herbergen, in denen die höheren Ränge des Hüter-Heers ihre Zimmer hatten, weil sie nicht in den Dienstunterkünften wohnen mochten, die in der Stadtmitte lagen. Diese Behausungen waren beliebt, weil man dort Abstand von den ewig wachsamen Augen des Obersten Reichshüters wahren konnte. Auch blieb man von unerwarteten Besuchen Vorgesetzter verschont. An diesen Häusern ritt Tarjanian geduckt und mit gesenktem Kopf vorüber. Es bestand eine gute Aussicht, dass sie durchs Tor hinausgelangten, ohne angehalten zu werden. Die Wächter achteten vor allem auf Ankömmlinge. Auf Hüter, die zur Festungsstadt hinausritten, brauchten sie keine besondere Obacht geben.
Sie trotteten am letzten Haus vorbei, das an dem Platz stand, der gleich hinter dem Haupttor lag. Plötzlich wurde zur Linken Tarjanians eine Tür geöffnet, und heraus trat ein Hauptmann. Unwillkürlich regte er Tarjanians Aufmerksamkeit an. Der Anblick seiner scheußlichen Narbe hatte zur
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