Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
wie grässlich er wohl wirklich aussah. Er wusste, dass ein Auge zugeschwollen war, weil er damit nichts erkennen konnte, und seine Lippen fühlten sich zweimal dicker als zuvor an. Ihn schmerzte jeder einzelne Muskel, und jedes Gelenk knirschte, wenn er es bewegte. Am ärgsten war es jedoch für ihn zu wissen, dass keine der erlittenen Schädigungen seinen Tod zur Folge haben sollte. Seine Befrager beabsichtigten ihm das Leben zu lassen, bis er aufs Schafott steigen musste. Sie waren zu hintersinnig, um ihm lebensgefährliche Wunden beizubringen. Allerdings konnte man einem Menschen Schmerzen in erstaunlich furchtbarem Umfang zufügen, ohne ihn zu töten. So viel hatte Tarjanian in diesen Tagen gelernt.
»Wer bist du?«, stöhnte er ein zweites Mal, während kühle Finger seine Stirn streichelten.
»Ich bin deine Freundin«, beteuerte das Mädchen. »Und du musst mich lieben.«
»Wenn's denn sein muss«, gab Tarjanian ratlos zur Antwort.
»Sag es, wie's sich gehört! Sage: ›Ich liebe dich, Kalianah.‹ Und ich empfehle dir, es auch so zu meinen, sonst helfe ich dir nicht.«
»Ich liebe dich, Kalianah«, wiederholte Tarjanian wie geheißen, »und ich empfehle dir, es auch so zu meinen, oder ich helfe dir nicht.«
Für diese Dreistigkeit bestrafte das Kind ihn mit einem Klaps, und aus Schmerz entfuhr ihm ein Aufschrei. Er entsann sich nicht daran, schon einmal einen Traum gehabt zu haben, der sich durch solche Klarheit und derartige Einzelheiten ausgezeichnet hatte. »Du bist ein schändlicher Schelm! Ich sollte dir dein Elend gönnen. Ich sollte dich hier verrecken lassen.«
»Je früher, umso lieber. Ich kann nie wieder das Schwert führen. Aus mir würde ein Bettler.«
»Du nimmst unser Gespräch nicht ernst.«
»Ich brauche es nicht ernst zu nehmen«, erwiderte Tarjanian, »weil ich bloß träume.«
»Cheltaran!«
Was als Nächstes geschah, dessen wurde Tarjanian sich niemals völlig sicher. Im Augenwinkel glaubte er ganz plötzlich eine zweite Gestalt erscheinen zu sehen. Eine andere kühle Hand senkte sich auf seine Stirn, und neuer Schmerz durchglühte seinen geschundenen Körper. Ein Stich heftiger Pein, schlimmer als alles, was er bis dahin erlitten hatte, fuhr ihm durch den Leib. Er hatte den Eindruck, als würden sämtliche bisherigen Tage voller Tortur innerhalb eines einzigen, entsetzlichen Augenblicks wiederholt. Er schrie auf, ehe er die Besinnung verlor, und sackte in einen schwarzen Abgrund, der tiefer und finsterer als je zuvor zu sein schien.
Als er in diese Kluft des Nichts stürzte, fragte er sich, ob er nun endlich starb.
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Die Schänke Zum Blauen Bullen lag nahe der Westseite des Amphitheaters, so wie etliche weitere Gaststätten und ebenso die genehmigten Freudenhäuser, in denen die Huren der Festungsstadt gegen ein von der Schwesternschaft festgesetztes und besteuertes Entgelt ihre gewerblichen Dienste anboten. Obwohl man solche Prostituierten - oder Court'esa , wie sie selbst sich lieber nannten - des Öfteren im Blauen Bullen antraf, hatte R'shiel bisher wenig mit ihresgleichen zu schaffen gehabt. Das Wort Court'esa war fardohnjischer Herkunft: In Fardohnja hießen Frauen und Männer Court'esa , die man von frühester Jugend an darin schulte, für den fardohnjischen Adel eine Quelle der Wollust zu sein. Es handelte sich um gebildete, geradezu vornehme, sehr gefragte Freudenspender und - Spenderinnen, die angeblich, wie R'shiel unter den Seminaristinnen hatte raunen hören, sechshundertsiebenundvierzig verschiedene Möglichkeiten des Lustgewinns kannten.
Diese Vorstellung gab R'shiel durchaus Anlass zum Grübeln. Während des Heranwachsens hatte sie sich naturgemäß die Einstellung der Schwesternschaft zum Lustgewerbe zu Eigen gemacht. Demnach musste man Männer als geile Geschöpfe betrachten, die über ihre fleischlichen Gelüste keinerlei Macht hatten. Deshalb hielten die Schwestern es für vorteilhafter, die Liebeszunft in genau bestimmte Regeln zu zwängen und die Männer für etwas bezahlen zu lassen, das sie sich sonst, wäre es nicht ohne große Umstände zu erlangen, mit Gewalt nähmen. Dennoch empfand R'shiel die Entscheidung für ein Leben als Court'esa , selbst eine verwöhnte, umworbene, teuer entgoltene fardohnjische Court'esa , als Ausdruck reiner Verzweiflung, eine Einschätzung, die ihres Erachtens umso mehr für Medalon galt, wo die meisten Court'esa gänzlich ungebildete Jünglinge und Mädchen waren, die keine vorsätzliche Wahl getroffen hatten, sondern
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